(15.9.2013) Nun habe ich den Berufungsbescheid des AMS erhalten zu einem Verfahren, über das ich in zwei Artikeln berichtet habe.
Meiner Berufung gegen die Bezugssperre wurde nicht stattgegeben und ich werde verpflichtet, den bereits ausgezahlten Betrag für die Zeit der Bezugssperre zurückzuerstatten.
Nun muss ich gestehen: Nach der ersten Lektüre des Bescheides war ich zunächst mal sprachlos. Ich wollte und will bis heute nicht glauben, dass eine öffentliche Einrichtung wie das AMS auf diese Weise mit den Bürgern eines demokratischen Rechtsstaats ungehindert verfahren kann.
Nach einer Weile habe ich mich dann dazu durchgerungen, das Schreiben genauer zu lesen:
Als sachlich nachvollziehbare Begründung für den Bescheid werden im Wesentlichen AlVG § 9 und 11 herangezogen, wo die Zumutbarkeit von Beschäftigungsverhältnissen und die Sanktionierung bei Kündigung durch die Dienstnehmerin geregelt ist. Dazu kommt AlVG §25, in dem die Verpflichtung zur Rückzahlung von Leistungen festgelegt ist.
Weiters werden 2 Mails von mir an das AMS zitiert, in denen ich meine Einwände gegen das Beschäftigungsverhältnis darlege und nach den Konsequenzen einer Ablehnung frage. Dabei sind die Einwände fett markiert. Ob dies als Beleg dienen soll, dass ich von Anfang an mit der Beschäftigung nicht einverstanden war? Für solche Fälle wurden ja die Sanktionen eingeführt.
Die Antworten des AMS sind nicht zitiert. Es wird lediglich festgestellt, dass ich vorab genau über das Projekt und die Konsequenzen einer Ablehnung informiert wurde.
Auf meine Argumente bezüglich der Begründung für das Beschäftigungsverhältnis wird nicht eingegangen. Es wird lediglich angemerkt, dass die Qualitätskiterien für SÖB in dem Betrieb erfüllt seien.
In dem Bescheid ist außerdem der Erwerb von „Arbeitstugenden“ in den vorgesehenen Betätigungsbereichen angeführt. Was unter diesem Begriff zu verstehen ist, wird nicht erläutert. Es wurde mir auch in Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis nicht mitgeteilt, welche „Arbeitstugenden“ mir nach Meinung des AMS oder der Caritas fehlen.
Es handelt sich ja hier um ein mit öffentlichen Mitteln gefördertes Beschäftigungsprojekt. Vor Dienstantritt wurde von mir die Unterzeichnung einer Vereinbarung über die Begründung eines Dienstverhältnisses verlangt.
In dieser Vereinbarung sind Maßnahmen zur Qualifizierung, Persönlichkeitsbildung und sozialpädagogischen Betreuung angeführt. Dass dies für mich als hochqualifizierte Fachkraft mit einem Universitätsdiplom in Biochemie, einem Diplom in Lebens- und Sozialberatung und weiteren Qualifikationen in dem gegebenen Rahmen nicht erfüllbar ist, war von Anfang an klar. Somit sehe ich das als betrügerischen Missbrauch von Fördergeldern, in den ich durch die in einer Zwangssituation geleistete Unterschrift mit hineingezogen wurde.
Dazu kommt, dass diese für mich dequalifizierende Tätigkeit in klarem Widerspruch steht zur Kernaufgabe des AMS: Effiziente Arbeitsvermittlung unter Erhaltung oder sogar Erweiterung bestehender Qualifikationen.
Die von mir angeführte Gefährdung meiner körperlichen und psychischen Gesundheit durch die Beschäftigung im Carla Shop wird nicht berücksichtigt, da ich mich einer amtsärztlichen Untersuchung nicht unterziehen wollte. Für mich war nicht einsehbar, was ein Amtsarzt, der mich vorher noch nie gesehen hat, hier hätte feststellen können. Schmerzen sind nur dem zugänglich, der sie erleidet. Eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens und der Leistungsfähigkeit ist objektiv nicht feststellbar. Es sei denn, es sind bereits manifeste Folgeschäden eingetreten – und genau das wollte ich verhindern. Meine Knieverletzung wäre nur durch eine erneute und kostenaufwändige Untersuchung mittels MRT belegbar gewesen. Mein Angebot, den Befund des behandelnden Arztes einzuholen, wurde offenbar nicht in Anspruch genommen.
Die weitere Argumentation des AMS kann nicht mehr als sachlich bezeichnet werden:
Durch eine Überprüfung des Betriebes am 9.8.2013, mehr als drei Monate nach meinem Ausscheiden, kann über den Zustand zur Zeit meiner Beschäftigung keine Aussage gemacht werden.
Auch die angeführte Behauptung der Caritas, die Arbeitsbedingungen hätten ja entsprechend verbessert werden können, ändert nichts an dem, was mir widerfahren ist.
Und eine spätere Befragung anderer Teilnehmerinnen an der Maßnahme spiegelt lediglich deren persönliche Meinung und kann daher zur Klärung der Sachlage in meinem Fall keinen Beitrag leisten.
Dass das im Internet publizierte Leitbild der Caritas als Beleg für die Integrität dieser Organisation und die Rechtmäßigkeit ihrer Vorgangsweise herangezogen wird, erfordert wohl keinen weiteren Kommentar. Außer vielleicht: Ich habe der Caritas meine Dokumentation zur Beschäftigung, meine Einwände gegen den Abschlussbericht und das Berufungsschreiben übermittelt. Ohne jede Reaktion.
Auf weitere Aussagen und Unterstellungen zu meiner Person im Bescheid des AMS ist eine sachliche Reaktion nicht möglich. Und auf eine andere Ebene möchte ich mich hier nicht begeben. Dazu ist mir die Sache zu ernst, auch wenn manches daran nur durch homerisches Gelächter überhaupt erst erträglich wird.
Insgesamt entsteht für mich aus diesem Schreiben, das den Status eines amtlichen Bescheides beansprucht - ohne Einspruchsrecht seitens der Betroffenen - folgender Eindruck:
Dem AlVG §9 und 11 sind alle gesetzlichen Bestimmungen zur gesetzlichen Aufgabe des AMS, zum Arbeitsrecht und zu Grundrechten österreichischer BürgerInnen untergeordnet und damit praktisch außer Kraft gesetzt.
In §9 Absatz 2 wird zwar angeführt: „Eine Beschäftigung ist zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist ...“. „Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung“.
Da in der Argumentation des AMS auf andere Gesetze und Bestimmungen nicht Bezug genommen wird, kann ich nur den Schluss ziehen: Die Auslegung dieser sehr allgemein gehaltenen Formulierungen bleibt dem AMS überlassen, genauso wie die Kontrolle über die Einhaltung der Bestimmungen.
Zur Verwendung öffentlicher Mittel und zur Begründungspflicht ergibt sich aus dem Bescheid:
Mit öffentlichen Geldern finanzierte Maßnahmen können Erwerbsarbeitslosen ohne inhaltlich nachvollziehbare Begründung unter Zwang auferlegt werden. Bildung, Qualifikation und Berufserfahrung sowie persönliche Würde des betroffenen Menschen werden dabei nicht berücksichtigt.
Mündige Bürgerinnen, die Zivilcourage aufbringen und sich mit erheblichem Aufwand an Zeit und Energie gegen diese Vorgangsweise eines übermächtigen Apparates zu Wehr setzen, werden mit existenzbedrohenden Sanktionen bestraft.
Insgesamt kommt dies einer Entrechtung von Menschen gleich, die auf eine durch das AMS verwaltete Versicherungsleistung existentiell angewiesen sind.
Die Assoziation zu Leibeigenschaft und Versklavung liegt hier sehr nahe.
Deshalb sei die Frage erlaubt:
Ist eine solche Vorgangsweise mit der Verfassung eines demokratischen Rechtsstaats vereinbar?
Mir persönlich stellt sich natürlich die Frage: Was nun?
Und darauf folgt eine ganze Reihe weiterer Fragen:
Wie soll ich es schaffen, mit einem Einkommen an der Armutsgrenze den ausstehenden Betrag zurückzuzahlen?
Muss ich diesen Bescheid als Freibrief betrachten, den das AMS sich selbst ausgestellt hat, um ungehindert über mich verfügen zu können und mir so weiteren persönlichen Schaden zuzufügen?
Soll ich mich an den Verwaltungsgerichtshof wenden, obwohl dadurch meine finanzielle Situation noch weiter verschlechtert wird?
Oder soll ich die Sache der Volksanwaltschaft übertragen und damit auf die Möglichkeit einer Beschwerde beim Verwaltungs- oder Verfassungsgerichtshof verzichten?
Und habe ich überhaupt die Chance, Recht zu bekommen, wenn inhaltlich-sachliche Argumente offensichtlich nicht zählen?
Oder wäre es besser, entgegen der unausgesprochenen und in einem Betreuungsplan auch erklärten Meinung des AMS, ich sei nicht mehr vermittelbar, meine ganze Kraft darauf zu konzentrieren, so schnell wie möglich eine mir entsprechende Stelle zu finden?
Aber wie kann ich jetzt, in einem Zustand relativer Zermürbung, etwas schaffen, worum ich mich seit drei Jahren bemühe und dabei durch das AMS mehr behindert als unterstützt wurde?
Und habe ich angesichts meines Alters auf dem Arbeitsmarkt überhaupt noch die Chance, wenigstens einen Teil meines breiten Spektrums an Qualifikationen und Erfahrungen einzubringen und dafür angemessen bezahlt zu werden?
Oder muss ich sehenden Auges einem Leben in Armut entgegengehen?
Fragen über Fragen, die sich mir aufdrängen. Und während ich diese Fragen stelle, beginnt sich die Erkenntnis zu formen: Solang ich mich innerhalb des Systems der Arbeitsmarktverwaltung bewege, gehe ich nur weiter im Kreis und verschwende dabei kostbare Energie und Lebenszeit.
Ob mir der Ausstieg aus diesem Kreis gelingt, liegt nun wohl bei einer höheren Instanz.
Und dort hat nicht mal die Caritas mitzureden. Da bin ich mir sicher.
Almira