„Weil zur Durchsetzung von KurzIV eben mehr Arbeitslosen-Bashing als Propaganda gebraucht wird, dürfen wir mit mehr falschen Zahlen und entstellten Einzelfallgeschichten in der regierungshörigen Journaille rechnen“, formulierte ich am 30.8.2018 und zwei Tage später leitartikelte Eva Salomon im Kurier. Wo es um krude PR-Slogans und doktrinäre Glaubensätze geht, darf Frau Salomon nicht fehlen.
Was uns der AMS-Kopf in seinen Wortspenden seit dem April wider jede Evidenz einhämmern will, nämlich dass es genug offene Stellen gäbe, klingt bei Salomon gleich eine Spur marktschreierischer: „Facharbeiter verzweifelt gesucht!“, „eklatanter Mangel an Arbeitskräften“, „Hochkonjunktur“. Die statistische Basis solcher Slogans ist noch dubioser als bei Kopf. Verzweifeln könnte man daher weniger über einen angeblichen Arbeitskräftemangel als den Umgang von Frau Salomon mit den Zahlen. 162.000 Facharbeiter fehlten nämlich. Stammt die Zahl vom Lottoschein der Frau Salomon? Das AMS weiß nämlich insgesamt nur von 79.354 offenen Stellen mit Stichtag August, wovon 30.500 nur Pflichtschulniveau verlangen und ca. 36.000 eine Lehrausbildung. Sollte die Zahl also keine Phantasiegeburt sein, stellt sich die Frage aus wie vielen Jahren Frau Salomon die Nachfrage nach angeblichen Fachkräften addiert und dann der Arbeitslosenzahl aus einem Monat gegenübergestellt hat. Autsch, das wäre aber ein statistischer Anfängerfehler, Flussgrößen mit Bestandsgrößen zu vergleichen. Hält Frau Salomon in einem Meinungsstück Quellenangaben zu ihren Zahlen für überflüssig, und statistische Angaben auch für Ansichtssache? Gut, Frau Salomon ist nur Wirtschaftsjournalistin, da geht es nicht um Zahlen sondern Glaubenssätze.
Als Entschädigung für die „kleinen Unsauberkeiten“ bei den Zahlen gibt es aber Schuldige, das wichtigste für ein Boulevardblatt, das schließlich handgreiflich werden muss. Salomon findet sie im Bildungswesen, vielleicht in Folge eines Schultraumas ein altes Leibthema der Schreiberin, und der Arbeitsunlust. Nicht dass es der Aggressionsabfuhr des Mobs, den Salomon da bedient, Abbruch täte, aber mit den zwei Kaninchen, die Frau Salomon aus dem Hut zieht, schießt sie auch gleich zwei kapitale Böcke.
Kann der Arbeitsmarkt am Bildungswesen genesen?
Die aufgemachte Milchmädchen Rechnung, da Arbeitslose, da der von Salomon konstatierte 100.000-fache Fachkräftemangel vom Staplerfahrer bis zum Wirtshauspersonal geht nicht auf. Die Idee, der Arbeitslosigkeit mit Qualifizierung beizukommen ist ganz allgemein ein hartnäckiger Mythos, der auf der Ausblendung der kontinuierlich sinkenden Nachfrage nach Arbeitskraft beruht, und hat bis jetzt nur zu einem Verdrängungswettbewerb um die gleiche Menge Jobs von den Akademikern abwärts geführt. Auch da dürfte der Sättigungspunkt erreicht sein, weil die Akademikerarbeitslosigkeit seit Jahren am schnellsten steigt (2015: 15%, 2016: 14%, und im „Hochkonjunkturjahr“ 2017 immer noch 5%). Aber wer von einem „eklatanten Mangel an Arbeitskräften“ träumt, den ficht nicht an, dass nicht nur anders ausgebildete sondern vor allem immer weniger Arbeitskraft nachgefragt wird.
Nicht weniger realitätsfern und undurchdacht klingen die praktischen Vorstellungen zur Befriedigung der salomon’schen, angeblich explodierenden Nachfrage nach „Fachkräften“, die bisher nicht nur vom „Wirtschaftskammerpräsidenten unterschätzt“ worden sei, sondern auch in der AMS-Statistik noch nicht ganz angekommen sein dürfte.
- Ohne die Mängel des Schulsystems verteidigen zu wollen, es ist nicht dazu da, Staplerfahrer und Wirtshauspersonal auszubilden, und schon gar nicht kurzfristig auf Zuruf einiger Firmen. Da geht wohl etwas durcheinander, wenn gleichzeitig die duale Ausbildung gelobt, aber nach dem Schulwesen gerufen wird, oder meinte Frau Salomon in ihren etwas vagen Rundumschlägen nur das Berufsschulwesen?
- Noch naiver ist die Idee, dass AMS könnte nach jeder Mode schnell ein paar Arbeitslose umschulen. Wenn sich Frau Salomon schon der Regierungspropaganda verschreibt, wäre ein umfassendes Verständnis von deren Agenda vorteilhaft: Denn erstens kürzt die KurzIV-Regierung gerade das AMS-Budget, und zweitens ist um die durchschnittlichen „Schulungen“ des AMS auch gar nicht schade, weil sie zum Großteil aus so genannten aktivierenden „Beratungs- und Betreuungsangeboten“ und subventionierter „Arbeitssimulation“ bestehen (über 60% laut WIFO, Eppel, Rainer, Horvath, Thomas, Mahringer, Helmut: Eine Typologie Arbeitsloser nach Dauer und Häufigkeit ihrer Arbeitslosigkeit 2010-2013, Wien, Dezember 2014, S. 8). Ja glaubt Frau Salomon immer noch, in des AMS’ „Nachqualifizierungen“ könnte man viel lernen? Da wird hauptsächlich auf Arbeitsloser geschult und Beschäftigungstherapie zum Schönen der Statistik und zur Schikane von Arbeitslosen betrieben.
Dass die ‚unsichtbare Hand des Marktes’ in Salomons Lösungsvorschlägen so ganz fehlt und hauptsächlich nach Vater Staat gerufen wird, muss bei einer Marktgläubigen wie der Autorin schon ins Auge springen. Eine Nachfrage, die auf kein ausreichendes Angebot trifft, muss doch nach diesem Katechismus beim Preis nachbessern. Sind die angeblichen Mangelberufe oder die duale Ausbildung vielleicht einfach nur von der Bezahlung oder den sonstigen Arbeitsbedingungen zu unattraktiv? Bei Betrachtung einiger der von Frau Salomon oder ihrem Kampagnenpartner Herrn Kopf unlängst genannten konkreten Mangelberufen (Wirtshauspersonal, Saisonkräfte im Tourismus, Erntearbeiter) dürfte es nicht gerade an der Ausbildung liegen, wenn diese Stellen nicht besetzt werden können. Kopf verlautete unlängst auch ganz unverblümt, dass unterdurchschnittliche Lebenshaltungskosten das Asset von Arbeitsuchenden in diesen Sektoren seien (Standard vom 24. 8. 2018). Und deshalb soll Vater Staat in Form des Schulwesens oder des AMS den Zuhälter oder Sklaventreiber geben, um den Unternehmen die gewünschten Arbeitskräfte zuzutreiben, ganz ohne den heiligen Marktmechanismus?
Leidet der Arbeitsmarkt an der Unlust zur Arbeit oder zur Anstellung?
Letzteres ist wohl auch der Grund, dass die „salomon’sche Analyse“ bei der Arbeitsunlust und damit beim alt vertrauten Arbeitslosen-Bashing und somit ihrem zweiten Bockschuss ankommt. Über die reale Wirtschaftsentwicklung psychologisiert sich Salomon ahistorisch hinweg und konstatiert Arbeitsunlust. Die Lust an der eigenen Arbeitskraftverwertung war bis Anfang der 70-er Jahre anscheinend noch da und hat sich irgendwie über die Jahrzehnte verflüchtigt, nicht die Arbeitskraftnachfrage. Die Autorin vergisst, dass die 25-jährige Phase des Nachkriegsfordismus mit historisch ungewöhnlichen Wachstumsraten von durchschnittlich 3,8% jährlich 1973 zu Ende ging. Eine solche Amnesie würde erklären, warum die Autorin keine Hemmungen hat, die bescheidenen, derzeitigen konjunkturellen Schwankungen ohne jede Einschränkung als „Hochkonjunktur“ zu bezeichnen. Wer nicht mehr weiß, wie sich Hochkonjunktur im aufsteigenden Fordismus der Nachkriegszeit anfühlte, dem fehlt freilich der Maßstab. Die darauf folgende Finanzialisierung des Kapitalismus, die Deregulierung des Finanzsektors (Reagonomics, Thaterismus, Ära Greenspan), der fortan zur Grundlage einer kreditfinanzierten Realwirtschaft und ihrer krisenhaften Schwankungen wurde, wird ebenfalls verdrängt. Mit anderen Worten, die Autorin schwindelt sich über die Tatsache, dass Wachstumsschübe mitsamt gewissen Arbeitsmarkteffekten inzwischen ziemlich regelmäßig an die Blasenbildungen der Finanzmärkte mit ihren zwangsläufig folgenden Schuldenkrisen gebunden sind, hinweg, und begnügt sich mit der esoterischen Sicht auf eine geheimnisvoll sinkende Arbeitsmoral in einer „versagenden“ Leistungsgesellschaft. Der Zusammenhang ist aber inzwischen statistisch hochsignifikant .....
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Quelle: Steve Keen, Professor und Leiter der School of Economics, History and Politics, Kingston University London, „Has Europe really recovered from its 2008 financial meltdown? RT, 15. 3. 2018
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..... und auch für den österreichischen Stellenmarkt augenfällig.
Weil ihr die Zahlen nicht so zu liegen scheinen, dürfte Frau Salomon auch verdrängen, dass 2017 durchschnittlich auf eine freie Stelle sieben Arbeitssuchende kamen, und sogar in der Hochsaison des Jahres 2018 immer noch vier, was allerdings als Momentaufnahme ohnehin nicht viel über den zu erwartenden Jahresdurchschnitt aussagt. Freilich, wer bei Anerkennung des eklatanten Arbeitskräfteüberschusses immer noch an der angeblichen Arbeitsunlust der Arbeitslosen anstatt der Anstellungsunlust der Unternehmen herumdoktern wollte, würde sich schnell dem Verdacht des zumindest selektiven Realitätsverlustes aussetzen. Also setzt Frau Salomon aufs Vergessen und Verdrängen der Realitäten und fordert Arbeitsanreize, ein anderes Wort für Verelendung und vermehrte Existenz vernichtende Sanktionen für Arbeitslose, also das zentrale Geschäftsfeld des Service. Denn die explodierende - in Studien nachgewiesener Maßen arbeitsmarktpolitisch wirkungslose - Sanktionswut des AMS ist Salomon noch zu wenig. Wer eine solch zynische Verhöhnung der regelmäßig von AMS um die materiellen Existenzmittel gebrachten Menschen rechtfertigen will, muss dick auftragen. Also diffamiert Frau Salomon mit einer neuen dubiosen Zahl, die durch nichts nachvollziehbar ist, eine ganze soziale Gruppe. Neun von zehn Arbeitslosen würden nicht zu Jobgesprächen erscheinen, für die sie sich angemeldet hätten. Wo hat sie das nur her, oder ist das wieder nur so eine „Meinungszahl“ von Frau Salomon?
- Erstens meldet man sich für Bewerbungsgespräche nicht an, sondern wird eingeladen oder nicht, und ersteres ist angesichts der Stellenknappheit nicht so häufig. Laut Wifo-Studie (WIFO w.o., S. 7) vermittelt das AMS im Monat ca. 0,86 Stellen an Arbeitssuchende, und dies, obwohl die gleiche Stelle bis zu 15 Arbeitssuchenden gleichzeitig angeboten wird, und sich das AMS dabei meist keinen Deut darum schert, ob die Qualifikationen passen.
- Zweitens würde das AMS jede solche Sanktionsmöglichkeit mit einem Dankgebet auf den Lippen ergreifen, um sein Plansoll an Opferritualen zu erfüllen, was ja inzwischen seine Hauptaufgabe ist.
- Drittens sanktioniert das AMS alles Mögliche, aber kaum direkte Verweigerungen von echten Stellen, oder sog. Vereitelungen, worunter das von Salomon flockig behauptete Verhalten fallen würde. Woher sollten Arbeitslose angesichts des Stellenmangels auch die Gelegenheit dazu haben? 50% der Sanktionen wurden 2017 wegen Terminversäumnissen beim AMS, nicht bei potentiellen Dienstgebern verhängt, weitere 27% dafür, dass jemand ein Dienstverhältnis aus Eigenem beendet hat und danach arbeitslos wurde (ja die Freiheit der Arbeitsplatzwahl wird inzwischen sanktioniert), 5% wegen versäumter Kurstage, und unter den restlichen ca. 17% werden alle möglichen „Delikte“ verfolgt, von zu wenigen Eigenbewerbungen, über die Ablehnung von irgendwelchen AMS-Sinnlos-Kursen, bis zu zuviel Ehrlichkeit bei einem Bewerbungsgespräch. Beispiel gefällig:
Eine junge Frau, die im Herbst ein Studium beginnen will, sucht bis dahin einen Stelle. Bei einem Vorstellungsgespräch schenkt sie dem Arbeitgeber reinen Wein ein, damit sich dieser darauf einrichten könne, wie sie meint. Soviel Vernunft und Ehrlichkeit gilt dem AMS als Vereitelung und wird sanktioniert. Der Fall ist beim Verwaltungsgericht anhängig. Hätte sie dem potentiellen Dienstgeber vorgelogen, sie wolle in der Firma alt werden, würde sie in der Diktion des durchaus quasireligiösen Notstandsrechts für Arbeitslose mit seinen wahnhaften Zügen nicht als „arbeitsunwillig“ gelten.
Das AMS hat wohl seine Gründe, dass es Ablehnungen einer echten Stelle in einer größeren Sanktionskategorie (§10 AlVG) versteckt. Die Zahl dürfte selbst für die im Arbeitslosen-Bashing intellektuell sterilisierte Boulevardpresse zu peinlich sein. Aber Frau Salomon braucht des AMS’ Statistik gar nicht, sondern zaubert Zahlen sowieso ohne Quellenangaben aus dem eigenen Zylinder.
Hätte sich Frau Salomon in Alpbach mehr in den Panels zu „anhaltendem Zinstief, neuen Handelsbarrieren, italienischer Schuldenkrise“ aufgehalten, als mit „Spitzenmanagern“, die ihr Wirtshaus wegen Personalmangels schließen mussten, am Buffet bei Smalltalk Prosecco zu schlürfen, müsste man ihr die Zusammenhänge zwischen dem Fiat-Money der Notenbanken, Spekulationsblasen, kreditinduzierten Wachstumsschüben und davon abhängigen Schwankungen der Arbeitslosenrate vielleicht nicht in Erinnerung rufen. Aber das hätte natürlich nur für das Verständnis der sozioökonomischen Wirklichkeit Wert, und nicht für Frau Salomons „KurzIV“-Kreuzzug.
Peter Oberdammer
Wien, 5. 9. 2018