Dem Arbeitsmarkt geht es so gut wie lang nicht mehr. Die Regierung verbucht das für sich – das haben auch ihre Vorgänger so gemacht. Mit ein paar Kniffen geht das leicht. _ VON JEANNINE HIERLÄNDER
Hartinger-Klein setzt einen Schwerpunkt auf arbeitslose Ausländer und Flüchtlinge.
2008 steuerte Österreich auf Vollbeschäftigung zu – wenn man die EU-Daten heranzog.
Es dürfte einer der richtig guten Tage im Berufsleben von Johannes Kopf gewesen sein. Am 8. Jänner 2008 gab der Chef des Arbeitsmarktservice eine Pressekonferenz mit dem damaligen Wirtschaftsminister Martin Bartenstein. Der sparte nicht mit Lob: Österreich habe „das beste AMS der Welt“, sagte der ÖVP-Minister in Richtung Kopf und dessen Co-Vorstand Herbert Buchinger. Der Arbeitsmarkt ressortierte damals zum Wirtschaftsministerium. Und die Zeiten waren gut: „Wir nähern uns weiter der Vollbeschäftigung“, war damals öfter vom Minister zu hören. Davon können seine politischen Erben heute nur träumen.
Wenn Bartenstein von Vollbeschäftigung schwärmte, dann bediente er sich eines Tricks: Er sprach von der EU-Quote. Die lag damals bei gut vier Prozent. Sie wird anders berechnet und ist niedriger als die nationale Quote. Die betrug damals schon rund sechs Prozent. Heute sind es über sieben.
Aber Politiker haben ein nachvollziehbares Interesse, die Lage auf dem Arbeitsmarkt so gut wie möglich darzustellen. Kaum etwas ist den Wählern so nah wie ihr Job. Also müssen Minister und Bundeskanzler tunlichst vermitteln, dass die gute Lage ihr Verdienst ist. Auch wenn das nur bedingt stimmt. In dieser Disziplin versucht sich aktuell auch die türkis-blaue Koalition. Dem Arbeitsmarkt geht es so gut wie schon lang nicht mehr. Monat für Monat vermeldet das AMS sinkende Arbeitslosenzahlen. Und die Sozialministerin, Beate Hartinger-Klein (FPÖ), hat ihren eigenen Umgang damit gefunden. Dazu muss man wissen, dass es in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik gewisse Gepflogenheiten gibt, die über die Jahre gewachsen sind. Die Arbeitslosenzahlen werden am ersten Werktag des Monats veröffentlicht. Die Tradition will es, dass sich zuerst die Ministerin äußert und dann das AMS. Im Sozialministerium gab es leichte Anlaufschwierigkeiten. Am 1. Februar 2018, kurz nach ihrem Amtsantritt, ließ der Kommentar Hartinger-Kleins auf sich warten. Dabei konnte sie satte zehn Prozent weniger Arbeitslose vermelden. Der AMS-Chef hielt sich zurück, da die Ministerin noch nichts gesagt hatte. Aber es kam nichts. Eine Panne – oder ein bewusster Spin? Hartinger- Klein meldete sich erst einen Tag später zu Wort. Und gab „bedenkliche Entwicklungen“ bei arbeitslosen Ausländern zu Protokoll. Bis heute setzt sie in ihren Presseaussendungen einen Schwerpunkt auf die Arbeitslosigkeit von Ausländern und Flüchtlingen. „Die FPÖ versucht, ihre Kernstärke, also alles, was mit Migration zu tun hat, auf andere Bereiche auszudehnen. Wie eben auch auf den Arbeitsmarkt“, sagt der Politikberater Thomas Hofer.
Neuer Modus Operandi.
Das zieht sich durch. So verweist Hartinger-Klein regelmäßig darauf, dass fast die Hälfte der Schulungsteilnehmer Ausländer sind. Und dass die Zahl der arbeitslosen Österreicher überdurchschnittlich sinkt. So es denn eine Aussendung gibt. Denn die Koalition hat bei dem Thema ihren eigenen Modus Operandi gefunden. Am vergangenen Sonntag durfte die „Kronen Zeitung“ vorab über die März-Zahlen berichten. Am Abend zog die „Zeit im Bild“ mit einem Bericht nach – mit Bildern von Hartinger-Klein und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP). Die Ministerinnen brachten auch ihre zentrale Message unter: Dass sie die österreichischen Betriebe und den Wirtschaftsstandort stärken wollen. Mit dem AMS-Chef war die Vorabberichterstattung nicht abgestimmt. Er nimmt das gelassen. „Es ist doch fein, wenn sich jeder auf seine Art über die guten Zahlen freut“, sagt Kopf zur „Presse am Sonntag“.
Johannes Kopf ist das Gesicht zum Arbeitsmarkt. Der medienaffine Jurist scheut weder Fernsehauftritte noch Podiumsdiskussionen und beteiligt sich rege an Twitterdebatten. 2006 wechselte Kopf aus dem Kabinett Bartenstein in den AMS-Vorstand. Seither hat er sich – auch international – einen Namen als Experte gemacht. Wer etwas zum österreichischen Arbeitsmarkt wissen will, fragt bei ihm nach und nicht im Sozialministerium. Das dürfte den Ministern in den Krisenjahren nicht unrecht gewesen sein. Jahrelang kletterte die Arbeitslosigkeit nach oben. Da gab es wenig Lorbeeren einzuheimsen. Jetzt ist der Trend positiv, und es scheint, als wolle die Regierung das Thema nun stärker zu sich holen. „Man versucht, selbst die Interpretationshoheit über die Zahlen herzustellen“, sagt Politikberater Hofer. Und bekanntlich geben statistische Daten allerhand Spielraum zur Interpretation. 2008 steuerte Österreich nur deshalb auf die Vollbeschäftigung zu, weil sich der Wirtschaftsminister auf die EUWerte bezog. In dieser Statistik gilt jeder als beschäftigt, der auch nur eine Stunde in der Woche bezahlt arbeitet – sie beschönigt gewissermaßen die tatsächliche Arbeitslosigkeit. Und auch Vollbeschäftigung ist relativ. Früher einmal bedeutete dies eine Arbeitslosigkeit von unter drei Prozent, später ging man auf unter vier Prozent.
Nach der Ära Bartenstein ressortierte der Arbeitsmarkt wieder zum Sozialministerium, da hatte von Dezember 2008 bis Jänner 2016 Rudolf Hundstorfer (SPÖ) das Sagen. Als Anfang 2015 die nationale Arbeitslosenquote auf verheerende 10,5 Prozent kletterte, verwies er auf den EU-Vergleich – da betrug die Arbeitslosigkeit moderate 4,9 Prozent: „Österreich bleibt damit innerhalb der Europäischen Union hinter Deutschland an zweiter Stelle.“
Trendwende unter Stöger.
Anfang 2016 kam Alois Stöger, nunmehriger SPÖ-Nationalratsabgeordneter mit Schwerpunkt Verkehr und Infrastruktur. Hundstorfer galt als hemdsärmelig, volksnah und war immer für einen Sager gut. Stöger war die Antithese – technokratisch, farblos, medial zurückhaltend. Im Jahr 2016 wurde der Rekord von 9,1 Prozent nationaler Arbeitslosenquote eingestellt. Stöger resümierte: „Arbeitsmarkt 2016 geprägt durch steigende Beschäftigung, mehr offene Stellen und Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit.“ Ein echter Kniff. Für seine nächste Legislaturperiode nahm er sich die Vollbeschäftigung vor. Aber es kam bekanntlich weder zur Legislaturperiode noch zur Vollbeschäftigung.
IN ZAHLEN
381 tausend Menschen
waren im Jahr 2018 arbeitslos (inklusive Schulungsteilnehmer). Das waren um 7,6 Prozent weniger als 2017. Nach Jahren mit steigenden Arbeitslosenzahlen hatten im Jänner 2017 fast 500.000 Menschen keinen Job – ein trauriger Spitzenwert.
7,7 Prozent betrug die Arbeitslosenquote im Vorjahr nach nationaler Berechnung. Den höchsten Stand seit 1945 erreichte sie in den Jahren 2015 und 2016 mit je 9,1 Prozent.4,9 Prozent: So hoch war die Arbeitslosenquote in Österreich 2018 nach internationaler Definition. Sie bemisst sich an den Kriterien der Arbeitsorganisation der UNO (ILO). Für diese Berechnung gilt jeder als beschäftigt, der mindestens eine Stunde pro Woche bezahlt arbeitet. Für Österreich betrug der höchste Wert in der jüngeren Vergangenheit sechs Prozent, das war im Jahr 2016.