Offener Brief, Wien, 5.8.2011
Sehr geehrter Herr Kalliauer!
Sehr geehrte Damen und Herren vom AK-Vorstand!
Danke, dass Sie am 1.8.2011 eine Pressekonferenz zur Mindestsicherung gemacht haben. Die wirklichen Auswirkungen der Mogelpackung Mindestsicherung werden ja bislang erfolgreich von den Medien und von der Politik ignoriert.
Bei dieser Gelegenheit weisen wir Sie auf unsere Stellungnahme zum Begutachtungsentwurf der Oberösterreichischen Mindestsicherung hin, der auf massive rechtsstaatliche und menschenrechtliche Probleme der Mindestsicherung hinweist.
Insbesondere weisen wir mit allem Nachdruck darauf hin, dass die Bezugskürzungen, die ja nicht einmal vor dem Existenzminimum halt machen, das MENSCHENRECHT AUF LEBEN missachten. Wovon sollen Menschen, denen die Obrigkeit wegen angeblicher "Unwilligkeit" die Existenzgrundlage unter den Füssen entzogen werden, leben? Wovon die Miete zahlen und so weiter? Können Sie das uns bitte erklären?
Univ.-Prof. Dr. Ewald Wiederin stellte 2005 aufgrund fehlender Verankerung sozialer Menschenrechte in der Verfassung in einem Fachartikel daher leider zutreffend fest: "Österreich zählt in der Tat zu den letzten Staaten der Erde, die ihre Bürger und Einwohner ohne Verfasssungsbruch verhungern lassen können."
Diese unverhältnismässigen Sanktionsdrohungen sind mit den Grundwerten einer Demokratie unvereinbar und dienen dazu, die Menschen einzuschüchtern. Wer um sein Recht kämpft, der gefährdet bei der Mindestsicherung seine Existenzgrundlage!
Erste Erfahrungen aus Wien zeigen, dass die Bürokratie sich nicht einmal an die gesetzlichen Bestimmungen hält und sogar ohne die im Gesetz festgeschriebenen Belehrungen die Bezüge kürzt, nur wenn mensch sich weigert rechtswidrige Vereinbarungen bei AMS-Zwangsmassnahmen zu unterschreiben.
Wir weisen Sie darauf hin, dass auch wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt haben, dass diese strukturelle Gewalt bzw. "schwarzer Pädagogik" durch die Behörden (Bezugskürzungen) massive Auswirkungen auf die Gesundheit haben und so letzten Endes großen Schaden anrichten.
Die verstärkte Verschränkung der Mindestsicherung mit der repressiven AMS-Politik durch automatische Datenweitergabe über angebliche Arbeitsunwilligkeit sowie vermehrter Überwachung und Kontrolle dient offenbar dazu, verstärkten Druck auf Arme und Lohnarbeitslose auszuüben damit diese Arbeit um jeden Preis annehmen müssen. Damit werden auch die ArbeitnehmerInnen in den verbleibenden regulären Arbeitsplätzen unter Druck gesetzt zu schlechteren Bedingung zu arbeiten.
Die viel gepriesenen "Wiedereingliederungsmaßnahmen" dienen auch dazu, die Schuld an der Arbeitslosigkeit den von wirtschaftlicher und sozialer Ausgrenzung betroffenen Menschen zuzuschieben, in dem ihnen "Vermittlungsdefizite" angedichtet werden. Die Wirtschaft, die zur Steigerung der Gewinne immer mehr reguläre Arbeitsplätze vernichtet, wird a aber nicht in die Pflicht genommen. Die Opfer des Wirtschaftssystem werden so noch einmal gedemütigt und stigmatisiert! Durch diese oft teuren Maßnahmen werden aber keine nachhaltigen Arbeitsplätze geschaffen. Wer es dennoch schafft, verdrängt wiederum einen anderen Menschen vom immer brutaler werdenden Arbeitsmarkt.
Besonders problematisch erweisen sich die "gemeinnützigen Personalüberlasser" wo mit Hilfe des BAGS-KV und BABE-KV ("Transitarbeitskräfteregelung") reguläre Kollektivverträge umgangen werden und den Menschen die Anrechnung der Vordienstszeiten und Qualifikationen sowie Gehaltsvorrücken vorenthalten werden. Auch "Arbeitstrainings", wo zum AMS- bzw. Mindestsicherungsbezug Arbeit auf Kosten der Versicherungsgemeinschaft und der SteuerzahlerInnen für Betriebe und Einrichtungen kostenlos Arbeit geleistet werden soll, scheint auf dem Vormarsch zu sein.
Eine Auseinandersetzung mit dieser neoliberalen Workfare-Politik, die auch von der EU mit der Agenda 2020 durchgesetzt werden soll, und den weiteren rechtlichen Verschlechterungen durch die Mindestsicherung vermissen wir aber in Ihrer Stellungnahme. Bei der Mindestsicherung geht es nicht nur um das Geld sondern auch um die MENSCHENWÜRDE.
Wir fordern Sie daher auf, sich für die volle und bedingungslose Umsetzung der sozialen Menschenrechte, die im von Österreich ratifizierten aber nie in Verfassungsrang gehobenen "Internationalen Pakt über wirtschaftliche kulturelle und soziale Grundrechte" ("WSK-Pakt") festgeschrieben sind, zu kämpfen:
- Recht auf freie Berufswahl
- Recht auf gerechten Lohn und ausreichendes Erwerbseinkommen sowie einen gesetzlichen Mindestlohn. Die "AKTIVEN ARBEITSLOSEN" fordern 1.700 Euro brutto, damit mensch von Arbeit auch wirklich leben kann.
- Recht auf Bildung: selbst gewählte Kurse statt AMS-/BMS-Zwangsmaßnahmen
- Recht auf Streik auch in AMS-Maßnahmen ("Transitarbeitsplätze")
- Recht auf Gesundheit durch Ende mit den andauernden angedrohten Existenz gefährdenden Bezugssperren und mit diesen erzwungenen oft demütigenden und kränkenden AMS-Zwangsmaßnahmen
- Recht auf Interessensvertretung der Betroffenen mit ausreichenden Mitteln und Mitbestimmung in allen Belangen der BMS und des AMS
Dass auf diese sozialen Menschenrechte auch in den Erläuterungen nicht explizit Bezug genommen wird, halten wir für sehr bedenklich ebenso dass sich Österreich nach wie beharrlich weigert das Zusatzprotokoll zum WSK-Pakt zu ratifizieren, das den einzelnen Menschen ein Klagerecht einräumen würde.
Wir ersuchen Sie daher eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit unserer auf konkreten Erfahrungen mit dem AMS beruhenden Kritik an der Oberösterreichischen Mindestsicherung in der AK Oberösterreich sicher zu stellen und uns eine ausführliche Stellungnahme der AK Oberösterreich zu unserer Analyse der Mindestsicherung sowie geplante Schritte zur Beseitigung all der Fallstricke in der Mindestsicherung zukommen zu lassen.
Nutzen Sie bitte Ihre Möglichkeiten um den durch die Mindestsicherung entrechteten Menschen eine Stimme zu geben und für deren Rechte zu kämpfen denn es letzten Endes um die Rechte aller ArbeitnehmerInnen!
Mit freundlichen Grüssen
Mag. Ing. Martin Mair
Obmann "AKTIVE ARBEITSLOSE"
(Anbei auch als PDF-Dokument)