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Auskunftsbegehren an die AMS Landesgeschäftsstellen über die Umsetzung des Urteils des Verfassungsgerichtshofs über die aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gegen AMS-Bescheiden

Aktive Arbeits… am Mo., 19.10.2015 - 10:37
Briefverlauf
Angaben zum Brief

Sehr geehrte/r Herr/Frau ...,

gemäß § 16 AMSG obliegt Ihnen die „Kontrolle und Anleitung der Tätigkeit der regionalen Geschäftsstellen“. Wir wenden uns daher an Sie in einer dringlichen Angelegenheit des Rechtsvollzuges, die aufgrund der Zahl betroffener Menschen auch von allgemeiner Bedeutung ist.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis G74/2014 ua am 2.12.2014 die generelle Verweigerung der aufschiebenden Wirkungen von Beschwerden gegen Bescheide des AMS in § 56 Abs. 3 AlVG in der Fassung des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetzes BGBl I Nr.71/2013 als verfassungswidrig erkannt und aufgehoben. Die ersatzlose Aufhebung des § 56 Abs. 3 AlVG wurde per Kundmachung BGBl I 2015/28per 24.1.2015 rechtswirksam, weshalb die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) in dieser Hinsicht uneingeschränkt gelten.

Inseinem Urteil führte der Verfassungsgerichtshof unter Verweis auf seine langjährige Rechtsprechung aus, dass verfahrensrechtliche Abweichungen in Materiengesetzen nur dann als „erforderlich“gelten, wenn sie „zur Regelung des Gegenstandes 'unerlässlich' sind.“ Auch wenn der Gesetzgeber bei der Schaffung der Sonderbestimmung des AlVG § 56 Abs. 3 „das Interesse der Versichertengemeinschaft, die Einbringlichkeit von (vermeintlich) zu Unrecht gewährten Leistungen an den einzelnen Versicherten ohne Zuwarten auf eine rechtskräftige Entscheidung im Falle der Bekämpfung eines Bescheides besonders stark gewichtet hat“ so„entspricht die Regelung nicht dem Kriterium der Erforderlichkeit iSd Art136 Abs2 B‑VG, weil sie dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes insoweit widerspricht, als sie dem Interesse des einzelnen Versicherten, nicht generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange belastet zu werden, bis sein Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist (siehe nur VfSlg 15.511/1999 und die dort angeführte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes), nicht hinreichend Rechnung trägt. 1.17. Insbesondere lässt es die angefochtene Bestimmung nicht zu, die berührten öffentlichen Interessen (z.B. das oben genannte Interesse der Versichertengemeinschaft) mitden Interessen von Verfahrensparteien abzuwägen (siehe zur Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips im Rahmen der Zuerkennung aufschiebender Wirkung z.B. schon VfSlg 13.003/1992, 13.306/1992).“

Das Bundesverwaltungsgericht führt bei Bescheiden, die die vom AMS verweigerte aufschiebende Wirkung wieder zugestehen, unter Verweis auf die bisherige verfestigte Rechtsprechung und Rechtslehre zum Beispiel aus: „Dementsprechend genügt es für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Berufung nicht, dass ein Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles an der vorzeitigen Vollstreckung des Bescheides besteht, sonder es muss darüber hinaus die Umsetzung des Bescheides in die Wirklichkeit wegen Gefahr in Verzug dringend geboten sein (Hengstschläger/Leeb, AVG, zu § 64 Rz 31).

Gefahr in Verzug bedeutet, dass den berührten öffentlichen Interessen oder einer anderen Parteien (als des Beschwerdeführers) ein derart gravierender Nachteil droht, dass die vorzeitige Vollstreckung des Bescheides dringend geboten ist. Die Annahme, dass Gefahr in Verzug vorliegt, bedingt eine sachverhaltsbezogene fachliche Beurteilung durch die Behörde (Eder/Martschin/Schmid, Verwaltungsgericht, K10 f zu § 13 VwGVG mH auf die Erkenntnisse des VwGH vom 25.05.2002, Zl. 2002/18/0001, und vom 22.02.1988 Zl. 87/07/0108). Die Gefahr muss konkret bestehen (Hengstschläger/Leeb, AVG, zu § 64 Rz 31).

Schließlich hat auch der Verwaltungsgerichtshof im obzit. Beschluss vom 01.09.2014 Zl. Ra 2014/03/0028, im Zusammenhang mit einer Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gem. § 13 Abs. 2 VwGVG klargestellt, dass die Entscheidung über Zuerkennung bzw. Aberkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung ist.“ (BVwG W141 2109616-1/2E)

Wie stellen daher als eine VertreterIn der Versichertengemeinschaft folgendes Auskunftsbegehren:

  1. Wann und wie haben Sie von diesem Urteil des Verfassungsgerichtshof erfahren?
  2. Welche Dienstanweisungen und Informationen haben Sie wann an die Ihnen untergeordneten Dienststellen gegeben? (Bitte um Volltext dieser Anweisungen und Informationen)
  3. Welche Kriterien geben Sie für die Interessenabwägungen vor? Welche Interessen berücksichtigen Sie?
  4. Haben Anweisungen und Informationen von übergeordneten Stellen (AMS Bundesgeschäftsstelle, Sozialministerium) erhalten? Welchen Inhalt haben diese? (Bitte um Volltext dieser Anweisungen und Informationen)
  5. In wie vielen Fällen wird die aufschiebende Wirkung trotz des Verfassungsgerichtshofurteils bei AMS-Bescheiden verweigert?
  6. Mit welchen Begründungen wird die aufschiebenden Wirkung für welche Bereiche (Rückforderungen, Bezugssperren, Anrechnung Partnereinkommen, …) verweigert?
  7. Gibt es hierzu vorgefertigte Textbausteine? Wie lauten diese?
  8. Wer hat diese auf wessen Anweisung/Beschluss erstellt?
  9. Wie viele Beschwerden gegen AMS-Bescheide gibt es? (Auflistung nach Bereichen sowie für den Zeitraum 1.1.2014 – 31.1.2015 und den Zeitraum danach)
  10. Wie oft wird in Beschwerden gegen AMS-Bescheide die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung beeinsprucht? (Auflistung nach Bereichen sowie für den Zeitraum 1.1.2014 – 31.1.2015 und den Zeitraum danach)
  11. Wie oft wird in den Vorentscheidungen des AMS die aufschiebende Wirkung zuerkannt?(Auflistung nach Bereichen sowie für den Zeitraum 1.1.2014 – 31.1.2015 und den Zeitraum danach)
  12. Wird die Verwendung dieser Textbausteine statistisch erfasst? Wie oft werden diese verwendet?
  13. Wie überwachen Sie die Durchführung des Verfassungsgerichtshofurteils?
  14. Welche disziplinären Maßnahmen gibt es, wenn Sie feststellen, dass MitarbeiterInnen des AMS rechtswidrig die aufschiebende Wirkung tendenziell verweigern? Wie oft wurden in diesem Zusammenhang disziplinarrechtliche Sanktionen in Ihrem Bundesland verhängt?

Im Sinne der guten Pflege des Rechtsstaates (auch im Sinne von Artikel 6EMRK, Menschenrecht auf ein faires Verfahren und auf Rechtsschutz) und der Information der Versicherten (im Sinne von Artikel 10 EMRK, Menschenrecht auf Information) freuen wir uns über eine rasche und ergiebige Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Mag. Ing. Martin Mair
Obmann „Aktive Arbeitslose Österreich“

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