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Aktive Arbeitslose Österreich: Wahlumfrage zur Nationalratswahl 2017

Aktiver Admin am Mo., 14.08.2017 - 13:02

Sehr geehrte Damen und Herren!

Jährlich sind rund 1 Millionen Menschen von Erwerbsarbeitslosigkeit betroffen. Schätzungsweise rund 300.000 Menschen werden von der Wirtschaft dauerhaft von Erwerbsarbeit ausgeschlossen oder pendeln zwischen kurzer/prekärer Arbeit und Arbeitslosigkeit. Auch steigt nach wie vor kontinuierlich der Anteil der in Teilzeit tätigen Menschen und damit auch die Anzahl der MindestsicherungsbezieherInnen („Aufstocker“).

Nutzen Sie daher die kommende Nationalratswahl sich mit unseren Anliegen vertraut zu machen und Antworten an Ihre potentiellen WählerInnen zu geben. Wir haben daher die Fragen bewußt etwas informativer und von unserem Standpunkt aus betrachtet formuliert.

Wir bitten Sie folgende Fragen zu beantworten. Sie müssen aber nicht alle Fragen beantworten und können uns auch Ihre weiteren Überlegungen zum Thema übermitteln.

Wir werden eine Presseaussendung Mitte September machen, die an über 2.500 AdressatInnen geht und in zahlreichen Mailinglisten sowie auf unserer Homepage sowie auf facebook und twitter veröffentlicht wird. Wir vernetzen uns mit anderen Umfrageaktionen und geben unsere Ergebnisse Aktionen wie der wahlkabine.at zur Weiterverwendung bekannt.

Wir bitten um Ihre Antwort bis zum Freitag, 1. September 2017
(spätere Antworten werden entsprechend später publiziert werden können)

Die Umfrage wird auch eine Grundlage für unsere Wahldiskussion am Montag, 9.10.2017 in bewährter Weise wieder im wuk veranstalten (Einladung hierzu schicken wir Ihnen per eigener E-Mail).

Wir freuen uns, wenn wir über die Nationalratswahl hinaus Gehör finden bzw. Denkanstöße geben können. Die seit der Jahrtausendwende auch in Österreich sichtbar herrschende Massenerwerbsarbeitslosigkeit wird in absehbarer Zeit aufgrund der Systemkrise weiter nicht zurück gehen und sich durch Robotisierung/Industrie 4.0 usw. verschärfen.

Daher rufen wir alle Menschen guten Willens auf, bei diesem für sehr viele Menschen wichtigen Thema vermehrt zusammen statt gegeneinander zu arbeiten.

Mit freundlichen Grüßen

Mag. Ing. Martin Mair
Obmann „Aktive Arbeitslose Österreich“


Fragen der Aktiven Arbeitslosen Österreich an die zum Nationalrat kandidierenden Parteien

  1. Soziale Menschenrechte:
    Österreich hat den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Pakt) mit dem Recht auf Arbeit ratifiziert. Sind Sie dafür, dass Österreich endlich jenes Zusatzprotokoll unterzeichnet, das die darin enthaltenen Rechte einer Beschwerde bei der UNO zugänglich macht bzw. dass die Konvention in den Verfassungsrang gehoben wird? Die UNO kritisierte in ihrem Bericht vom 13.12.20131 zudem die mangelnde Anwendung der Menschenrechte bei Gerichtsurteilen und die fehlende menschenrechtliche Ausbildung von RichterInnen und AnwältInnen.

  2. Sanktionen vs. Menschenrecht auf frei gewählte Arbeit:
    Im UNO-Bericht vom 13.12.2013 kritisiert die UNO zudem das Sanktionenregime als mögliche Einschränkung des Menschenrechts auf frei gewählte Arbeit2, zu dessen Umsetzung sich Österreich in 5 Menschenrechtskonventionen (EU Grundrechtecharta inklusive) verpflichtet hat. Das wifo veröffentlichte erstmals eine Untersuchung über Wirkung verschiedener AMS-Maßnahmen, wobei Sanktionen als einzige AMS-Maßnahme keinerlei positive Wirkung in Bezug auf Vermittlung bescheinigt werden3. Zahlreiche internationale Studien zeigen zudem massive negative Auswirkung auf Gesundheit, finanzielle Lage und Vermittlungsfähigkeit sowie, dass in erster Linie jene Menschen getroffen werden, denen es schon schlecht geht bzw. die sich nicht wehren können
    4. In Österreich wird erst gar nicht dazu geforscht!
    Sind Sie angesichts dessen für die Beibehaltung der massiven strukturellen Gewalt gegen arm und erwerbslos gemachte Menschen oder für die Beseitigung / Milderung des Sanktionenregims?
    Wenn ja: Wie. Wenn nein: Warum?

  3. Eine groß angelegte Studie des wifo bescheinigt dem „zweiten Arbeitsmarkt“ so gut wie keine positive Wirkung in Richtung nachhaltige Vermittlung von regulärer Erwerbsarbeit: Während m Schnitt die Zahl der ungeförderten Arbeit nur minimal 505 auf 519 in den folgenden 5 Jahren (netto: 2,8 Tage pro Folgejahr) steigt, steigt dafür die Zahl der geförderten Tage massiv von 28 auf 256 Tage (netto + 45,6 Tage/Folgejahr!)5.
    Wie stehen Sie angesichts dessen zum Ausbau des „zweiten Arbeitsmarktes“?
    Soll wenigstens die Teilnahme freiwillig sein und die Umgehung regulärer Kollektivverträge durch sittenwidrige, pauschalierte „Transitarbeitskräfteregelung“ (keine Anrechnung von Qualifikationen und Vordienstzeiten = Altersdiskriminierung!) beseitigt werden?

  4. Mindestlohn:
    Österreich ist einer der letzten Staaten in Europa, der noch keinen gesetzlichen Mindestlohn entsprechend dem WSK-Pakt hat. Sind Sie dafür einen solchen einzuführen und wenn ja, in welcher Höhe?

  5. Invaliditätspension:
    Per 1.1.2014 wurde die befristete Invaliditätspension abgeschafft und Invalide müssen sich nach einer in 50% der Fällen völlig wirkungslosen Zwangsrehab (kein Recht auf freie Arztwahl!) oder AMS-Umschulung am „Arbeitsmarkt“ unter Drohung des AMS-Sanktionenregimes um Jobs bemühen, die sie nie bekommen oder auf Dauer ausüben können. Bei der „Gesundheitsstraße“ wird oberflächlich diagnostiziert und invalide Menschen werden oft einfach gesund geschrieben. Statt prognostizierter Entlastung von 649 Euro kostet die „Reform“ 100 – 200 Millionen Euro mehr, wird im Schnitt jedem 6. Rehab-Geldbezieher der Bezug wegen „mangelnder Mitwirkung“ gesperrt, obwohl die Zwangsrehab statt erwarteter 90% Erfolgsquote nur zu 11 – 16% erfolgreich ist und statt erwarteter 50% nur etwa 25% wieder eine Erwerbsarbeit finden (noch unklar ob dauerhaft)6. Welche Schlussfolgerungen zieht Ihre Partei aus diesem Fiasko auf Kosten oft chronisch kranker Menschen?

  6. Altersdiskriminierung:
    Nach wie vor werden Erwerbsarbeitslose bereits ab etwa dem 40. Lebensjahr von der Wirtschaft massiv diskriminiert obwohl es ein Antidiskriminierungsrecht gibt, das in dieser Hinsicht völlig wirkungslos zu sein scheint. Hinzu kommt, dass auch der Staat massive Altersdiskriminierung Erwerbsloser betreibt, indem diese auf einen zweitklassigen „zweiten Arbeitsmarkt“ unter Sanktionsdrohung gedrängt werden und indem bei der erst vor kurzem eingeführten Mindestpension von 1.000 Euro Zeiten der zumeist vom diskriminierenden Verhalten der Wirtschaft verursachten Erwerbsarbeitslosigkeit nicht berücksichtigt werden. Was wollen Sie tun, um das diskriminierende Verhalten von Wirtschaft und Staat zu beseitigen?

  7. Diskriminierung von Partnerschaften und Familien:
    Sind Sie dafür, dass bei der Notstandshilfe - die eine Versicherungsleistung ist, in die die Anspruchsberechtigten selbst eingezahlt haben - weiterhin das Partnereinkommen mit derart geringen Freigrenzen angerechnet wird, dass ganze Familien weit unter die offizielle Armutsgrenze nach EU-SILC gedrückt werden?

  8. Mindestsicherung:
    Obwohl die UNO die geringe Höhe der Mindestsicherung und die Zugangshürden (Verwertung von Vermögen, volle Anrechnung von Partnereinkommen, PKW-Verbot, …) im Herbst 2014 kritisiert hat, wurde die Mindestsicherung in den vergangenen Monaten in einigen Bundesländern weiter verschlechtert wobei sogar Verfassungsrechte verletzt werden durch die Deckelung des Bezuges für Familien, geringere Höhe für Asylberechtigte, Sachleistungen (Überweisung der Miete direkt an Vermieter ist bloßstellend und bedeutet z.B. eine Verletzung des Datenschutzes!) usw. Was wollen Sie gegen diese menschenrechtswidrigen Verschlechterungen machen? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass endlich die Rahmenregelungskompetenz des Sozialministers zu verbindlichen Mindestnormen genutzt wird, damit alle Menschen ein menschenwürdiges Leben in einem der reichsten Staaten des Planeten Erde führen können?

  9. Bedingungsloses Grundeinkommen und Robotisierung:punishing the poor uk sanctions
    In Österreich existiert noch keine Recht auf Existenzsicherung und auch kein Recht auf Teilhabe an der (gesamt)gesellschaftlichen Produktivität (natürliche Ressourcen, Infrastruktur, Automatisation). Die fortschreitende Rationalisierung (Industrie 4.0/Robotisierung) soll laut ExpertInnen massiv voranschreiten und produktive Arbeitsplätze vernichten/verdichten und den Anteil der Wertschöpfung, die nicht durch menschliche Arbeit geschaffen wird, massiv erhöhen, (Rest)Arbeitsplätze werden tendenziell weiter prekarisiert (Crowdwork!). Wie sehen Sie es in Bezug auf mögliche Arbeitszeitverkürzung und als Ausgleich zwischen Hochlohn und Niedriglohnsektoren? Sind Sie für die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommen? Wenn nein, warum und welche Alternativen wollen Sie bieten?

  10. Staatszielbestimmung Wirtschaftswachstum und Staatsfeindeparagraf
    Wie stehen Sie dazu, dass zur Aushebelung des Staatszieles Umweltschaft die neoliberale/kapitalistische Ideologie von (ewigem) Wirtschaftswachstum und von Standortwettbewerb (= Zwang für alle Menschen sich gegenseitig niederzukonkurrenzieren!) quasi als Staatsreligion festgeschrieben werden soll, während soziale Menschenrechte weiterhin keinen Schutz durch die Verfassung erhalten sollen. Diese Ideologien sind für die massive Verwüstung dieses Planeten auf kommende Generationen hinaus mit verantwortlich. Mit dem Staatsfeindeparagrafen könnten Gruppen, die sich gegen die zunehmend autoritäre Staatspolitik wehren kriminalisiert und verfolgt werden. Wie stehen Sie zu dieser Entwicklung?

  11. Demokratische Mitsprache der Erwerbsarbeitslosen:
    Nach ILO-Übereinkommen 122 und ILO Empfehlung 202 (Nationaler Basisschutz) sind Betroffenenselbstvertretungen in die Entwicklung und Umsetzung der Sozialpolitik und Beschäftigungspolitik einzubeziehen. Was wollen Sie tun, damit die menschenrechtlichen Standards bei der Mitsprache der Betroffenen endlich umgesetzt werden?7

  12. Förderung von Erwerbsloseninitiativen
    Finden Sie es in Ordnung, dass die Betriebe des „zweiten Arbeitsmarktes“ 1% der AMS-Förderungen an deren Dachverbände für Unternehmenslobbying auf Kosten der VersicherungszahlerInnen (=ArbeitnehmerInnen) abführen dürfen, währen Erwerbslosenselbstorganisationen nichts bekommen, ja nicht einmal Informationsflyer in den Geschäftsstellen des AMS auflegen dürfen?
    Was werden Sie tun, um diese massive Ungleichbehandlung zu beenden?

1 http://archiv.bundeskanzleramt.at/DocView.axd?CobId=54261

2 UN Menschenrechtserklärung, Artikel 23 [BGBl 120/1956]
Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte („WSK-Pakt“), Artikel 6 [BGBl 590/1978]
Europäische Sozialcharta, Artikel 1 [BGBl 1969/460,BGBl. III Nr. 112/2011]
Europäische Grundrechtecharta, Artikel 14 [Amtsblatt EU C 130]
Am ausführlichsten: ILO Übereinkommen 122, Übereinkommen über die Beschäftigungspolitik (BGBl. Nr. 355/1972)
http://www.arbeitslosennetz.org/arbeitslosigkeit/rechtshilfe/gesetzestexte_urteile/ilo_international_labour_organization/ilo_uebereinkommen_122_beschaeftigungspolitik.html

3 (Rainer Eppel, Martina Fink, Helmut Mahringer, Die Wirkung zentraler Interventionen des AMS im Prozess der Vermittlung von Arbeitslosen
http://www.wifo.ac.at/publikationen?detail-view=yes&publikation_id=59029

4 Trappmann Mark u.a.: Wenig gebildet, viel sanktioniert? Zur Selektivität von Sanktionen in der Grundsicherung des SGB II
https://www.degruyter.com/view/j/zsr.2016.62.issue-2/zsr-2016-0009/zsr-2016-0009.xml
Medienbericht dazu: https://www.swr.de/report/weniger-gebildet-viel-sanktioniert-die-alltaegliche-hartz-iv-willkuer/-/id=233454/did=18395036/nid=233454/117k7g/index.html
Citiens Advice Bureau: Punishing Poverty? A review of benefits sanctions and their impacts on clients and claimants
http://www.socialpublishingproject.com/uploads/9/6/1/1/9611868/punishing_poverty_-_sanctions_and_their_impacts.pdf
Ames Anne: Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II (Edition der Hans-Böckler-Stiftung)
http://www.aktive-arbeitslose.at/sites/aktive-arbeitslose.at/files/download/ames_anne_sanktionen.pdf
und viele andere!

5 Rainer Eppel, Thomas Horvath u.A.: Evaluierung von Sozialen Unternehmen im Kontext neuer Herausforderungen, wifo und prospect, Wien 2014 (Seite 68)

http://www.wifo.ac.at/jart/prj3/wifo/resources/person_dokument/person_dokument.jart?publikationsid=50690&mime_type=application/pdf

Siehe auch unser Diskussionspapier: „Endstation zweiter Arbeitsmarkt?“
www.aktive-arbeitslose.at/download/AAOe_Grundsatzpapier_zweiter_Arbeitsmarkt.pdf

6 http://chronischkrank.at/2017/rehageld-co-das-system-versagt-holzinger-juergen-im-orf-report-interview/

http://chronischkrank.at/2016/zu-krank-fuer-den-job-viele-bleiben-auf-der-strecke-kurier/

7 United Nations, Human Rights Office, Office of the High Commissioner: „Promotion of and respect for rights and dignity: a briefing note“
http://www.ohchr.org/Documents/Issues/EPoverty/briefSPILO_Recommendation101.pdf

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