Verwaltungsgericht
WIEN
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DVR: 4011222
GZ: VGW-242/021/RP25/7346/2017-1
G.
Wien, 27.09.2017
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Landesrechtspfleger OAR Neustifter über die Beschwerde des Herrn G., 1060 Wien, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- u. Gesundheitsrecht, Sozialzentrum Walcherstraße, vom 11.04.2017, Zl. SH/2017/01494889-001,
zurecht erkannt:
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben, sodass die mit den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Sozialzentrum Walcherstraße, vom 02.03.2017, Zl. MA 40 - SH/2016/01347055-001, (betreffend Lebensunterhalt und Grundbetrag für den Wohnbedarf von monatlich EUR 837,76 von 01.03.2017 bis 28.02.2018 zzgl. Sonderzahlungen im Mai und Oktober 2017 von je EUR 837,76 und Leistungen bei Krankheit sowie Mietbeihilfe in der Höhe von monatlich je EUR 28,77) gestaltete Rechtslage wieder hergestellt ist.
Entscheidungsgründe
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11.04.2017, Zl., MA 40 - SH/2017/01494889-001, wurde auf Grund einer Änderung die Zuletzt mit Bescheid vom 02.03.2017, Zl. MA 40 - SH/2017/01347055-001, gewahrten Leistungen mit 30.04.2017 eingestellt und ab 01.05.2017 bis 28.02.2018 eine monatliche Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs in der Hohe von monatlich EUR 837,76 und Leistungen bei Krankheit zuerkannt, Jedoch keine Sonderzahlungen mehr gemäß § 8 Abs. 3 des wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG) für Mai und Oktober 2017 und ab 01.05.2017 auch keine Mietbeihilfe gemäß § 9 WMG mehr zuerkannt.
Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, dass die neue Bemessung aufgrund des übermittelten Gutachtens der PVA vom 04.04.2017, welches Arbeitsfähigkeit bescheinige, erfolgt sei.
Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 26.03.2017 mit folgendem wesentlichen Inhalt Inhalt;
Der Erstellung des übermittelten Gutachtens vom 4.4.2017 der PVA sei keine ausreichende und objektive Untersuchung zugrunde gelegen. Fachärztliche Befunde seien nicht vollständig, sondern nur auszugsweise berücksichtigt worden, bei den gestellten Fragen sei keine Gelegenheit gegeben worden, diese ausführlich zu beantworten und dem Fragebogen keine Beachtung geschenkt worden.
Der gesundheitliche Zustand des Beschwerdeführers habe sich während der Dauerleistung keineswegs gebessert, sondern verschlechtert.
Der Beschwerdeführer habe sich sehr um die Zusendung des Gutachtens bemüht, was seitens der belangten Behörde verwehrt worden sei, da dieses nicht vorliegen soll, wie ihm telefonisch vermittelt worden sei. Dem Bescheid sei zu entnehmen, dass jenes übermittelt worden wäre. Dieses Gutachten sei ihm aber nie bekannt gegeben worden, womit sowohl sein Recht auf Parteiengehör verletzt als auch ihm Jede Möglichkeit zur Überprüfung des Gutachtens genommen worden sei.
Weiter fehle jegliche Begründung für die Aberkennung der Dauerleistung.
Wieder gebe es eine Zusammenfassung des Gutachtens noch dessen rechtlicher Beurteilung, womit die Begründungspflicht nach § 60 AVG verletzt worden sei.
In der Belehrung vom 18.04.2017 berufe sich die Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit auf eine Untersuchung der PVA vom 06.04.2017. An diesem Tag habe keine solche seine Person betreffend stattgefunden.
Die Mietbeihilfe sei ohne jede Darlegung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und ohne jede Begründung abgewiesen worden, womit die Begründungspflicht nach § 60 AVG verletzt worden sei.
Der Beschwerdeführer hat folgende Antrage gestellt:
- Teilweise Aufhebung des Bescheides und Auszahlung der Dauerhilfe um
- Zuerkennung der Mietbeihilfe bzw. Begründung der Ablehnung
- Feststellung der Arbeitsfähigkeit durch die Sigmund-Freud-Universität
- Verfahrenshilfe
- Durchführung einer mündlichen Verhandlung da es sich bei der Frage seiner Arbeitsfähigkeit um keine einfache Rechtsfrage handle die nur aufgrund von Akten ohne Parteiengehör entscheidbar wäre
- Ausfolgung des Gutachtens der PVA
- Ladung des Gutachters als Zeugen
Aus dem vorgelegten Akt ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer seit September 2013 - weiter zurück wurde hg. nicht recherchiert - Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung bezieht, und zwar auch Sonderzahlungen, die nur bei Arbeitsunfähigkeit auf die Dauer von wenigstens einem Jahr (§ 8 Abs. 3 WMG) gebühren („Dauerleistung“).
Mit Schreiben vom 22.02.2017 an den Beschwerdeführer hat die belangte Behörde diesen gemäß § 16 Abs. 2 WMG aufgefordert, eine Zustimmungserklärung für eine PVA-Untersuchung unterschrieben zu übermitteln.
Im Akt der belangten Behörde selbst liegt lediglich die unterfertigte Zustimmungserklärung, ein Fax über die Auftragserteilung an die PVA sowie des Datentransfers vom 02.03.2017 Sowie eine chefärztliche Stellungnahme vom 06.04.2017 mit folgendem Text vor:
„Gemäß ärztlichem Gutachten vom 04.04.2017 ist Arbeitsfähigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt gegeben.“
Der Amtssignatur ist nicht zu entnehmen wer dieses Schreiben gezeichnet hat, da lediglich eine Benutzer-ID ersichtlich ist.
Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen
Das Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) lautet auszugsweise:
§ 8. (3) Personen, die das Regelpensionsalter nach dem ASVG erreicht haben und volljährigen, auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähigen Personen ist zum monatlich wiederkehrenden Mindeststandard jährlich in den Monaten Mai und Oktober je eine Sonderzahlung in der Höhe des Mindeststandards zuzuerkennen. Ein 13. oder 14. Monatsbezug, den die Person von anderer Seite erhält, ist auf diese Sonderzahlungen anzurechnen.
Das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG 1991) lautet auszugsweise:
§ 52. (1) wird die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig, so sind die der Behörde beigegebenen oder zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen (Amtssachverständige) beizuziehen.
(2) wenn Amtssachverständige nicht zur Verfügung stehen oder es mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles geboten ist, kann die Behörde aber ausnahmsweise andere geeignete Personen als Sachverständige (nichtamtliche Sachverständige) heranziehen.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, so kann die Behörde dennoch nichtamtliche Sachverständige heranziehen, wenn davon eine wesentliche Beschleunigung des Verfahrens zu erwarten Ist. Die Heranziehung ist jedoch nur zulässig, wenn sie von demjenigen, über dessen Ansuchen das Verfahren eingeleitet wurde, angeregt wird und die daraus entstehenden Kosten einen von dieser Partei bestimmten Betrag voraussichtlich nicht überschreiten.
(4) Der Bestellung zum nichtamtlichen Sachverständigen hat Folge zu leisten, wer zur Erstattung von Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellt ist oder wer die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis die Voraussetzung der geforderten Begutachtung ist, öffentlich als Erwerb ausübt oder zu deren Ausübung öffentlich angestellt oder ermächtigt ist. Nichtamtliche Sachverständige sind zu beeiden, wenn sie nicht schon für die Erstattung von Gutachten der erforderten Art im allgemeinen beeidet sind. Die §§ 49 und S0 gelten auch für nichtamtliche Sachverständige.
Ein Sachverständigengutachten, das von der Behörde - oder dem Verwaltungsgericht (Hinweis E VwGH vom 17. November 2015, Ra 2015/03/0058, mwN) – ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt wird, muss einen Befund und das Gutachten im engeren Sinn enthalten sowie ausreichend begründet sein (Hinweis E VwGH vom 27. Februar 2015, 2012/06/0063, mwN). Der Befund besteht in der Angabe der tatsächlichen Grundlagen, auf denen das Gutachten (im engeren Sinn) aufbaut, und der Art, wie sie beschafft wurden. während somit der Befund die vom Sachverständigen vorgenommenen Tatsachenfeststellungen enthält, bilden die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Fähigkeiten benötigt, das Gutachten im engeren Sinn (Hinweis E VwGH vom 27. April 2016, Ra 2015/10/0076).
Nur ein schlüssiges und nachvollziehbares Gutachten ist von einer Gegenpartei zu entkräften, während schlichte Feststellungen des Sachverständigen, die nicht weiter begründet sind, nicht widerlegt werden müssen. Denn das Erfordernis der Widerlegung eines von der Behörde eingeholten Sachverständigengutachtens auf gleicher fachlicher Ebene greift nur ein, wenn ein vollständiges, schlüssiges und widerspruchsfreies Gutachten vorliegt. Dabei hat der Sachverständige seine Sach- und Ortskenntnis schriftlich im Rahmen des Befunds, der eine von ihm - wenn auch etwa unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden, wie beispielsweise der Zitierung entsprechender Fachliteratur - vorgenommene Tatsachenfeststellung darstellt, soweit zu konkretisieren, dass sie für Dritte nachvollziehbar ist. Einwendungen gegen die Schlüssigkeit eines Gutachtens einschließlich der Behauptung, die Befundaufnahme sei unzureichend bzw. der Sachverständige gehe von unrichtigen Voraussetzungen aus, haben somit ebenso wie Einwendungen gegen die Vollständigkeit des Gutachtens auch dann Gewicht, wenn sie nicht auf gleicher fachlicher Ebene angesiedelt sind, also insbesondere auch ohne Gegengutachten erhoben werden (Hinweis E VwGH vom 27. Februar 2015, 2012/06/0063, mwN).
Die Behörde hat ein Gutachten eines Sachverständigen somit nicht nur auf seine Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit hin zu prüfen (Hinweis E VwGH vom 12. Oktober 2004, 2003/05/0019, mwN), sondern sie ist auch gehalten, sich im Rahmen der Begründung des Bescheides mit dem Gutachten auseinander zu setzen und es entsprechend zu würdigen; VwGH 09.09.2015, Zahl 2013/03/0120.
Die im Akt befindliche „Chefärztliche Stellungnahme“ ersetzt jedenfalls nicht ein Sachverständigengutachten zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit. Ein solches liegt im Akt nicht vor. Der bekämpfte Bescheid hätte daher mangels eines im Akt der belangten Behörde einliegenden Gutachtens, mit dem sich die belangte Behörde überhaupt erst auseinandersetzen hätte können, nicht ergehen dürfen. Auch der Beschwerdeführer wurde dadurch, dass er nicht in ein vollständiges ärztliches Sachverständigengutachten Einsicht nehmen und dazu Stellung nehmen konnte, in seinen Verfahrensrechten verletzt worden (Parteiengehör durch Bekanntgabe der Beweisergebnisse und Gelegenheit zur Stellungnahme dazu).
Da es sich bei dem angefochtenen Verwaltungsakt offensichtlich um einen von Amts wegen erlassenen Bescheid handelt, brauchte keine Aufhebung mit Beschluss und keine Zurückverweisung zur Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erfolgen, zumal durch das vorliegende stattgebende und aufhebende Erkenntnis ohnehin eine früher mit Bescheid gestaltete Rechtslage wieder in Kraft getreten ist. Die Aufhebung hatte daher spruchgemäß mit Erkenntnis und grundsätzlich ersatzlos zu erfolgen, womit der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid vollinhaltlich stattgegeben wurde.
Mit der erfolgten „ersatzlosen“ Behebung des angefochtenen Bescheides ist es der belangten Behörde freilich nicht untersagt, aus einem in Bezug auf die Durchbrechung der Rechtskraft geltender Bescheide gerechtfertigten Anlass, insbesondere der Kenntnis von eingetretenen oder aufgrund von konkreten Umständen anzunehmenden oder gemeldeten Änderungen, Einstellungen bzw. in der Folge Neubemessungen von Leistungen vorzunehmen.
Von den Grundsätzen des § 68 AVG 1991, die als elementar für die gesamte Rechtskraftlehre von Bescheiden anzusehen sind (siehe die Ausführungen von Walter/Mayer Grundriss des Österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts), sei in diesem Zusammenhang vor allem darauf hingewiesen, dass in Fallen der Durchbrechung der Rechtskraft die Behörde stets mit möglichster Schonung erworbener Rechte vorzugehen hat. Dieser fundamentale Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist keineswegs nur auf die Fälle des § 68 Abs. 3 AVG 1991 beschränkt, wie folgender Rechtssatz aus dem Erkenntnis des VwGH vom 29.11.1973, Zl. 1354/72, VwSlg 8511 A/1973, zeigt:
Der Gedanke der Schonung erworbener Rechte bes. im in der österreichischen Rechtsordnung (zB Art 119a Abs 7 letzter Satz B-VG, § 68 Abs 3 AVG 1950, § 2 Abs 1 WG (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit), § 61 Abs 1 PensionsG 1965, §§ 1 Abs 2, 76 KOVG) insbesondere im Hinblick auf § 5 ABGB eine derart fundamentale Bedeutung, dass die Erhaltung wohlerworbener Rechte immer dort anzunehmen ist, wo ein Gesetz nicht das Gegenteil festlegt.
Allein schon im Hinblick auf die nach Akten Durchsicht bereits im voraus festgestellte eindeutige Sach- und Rechtslage, die zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen musste, hat es sich erübrigt, über die vom Beschwerdeführer beantragte Verfahrenshilfe mit Beschluss zu entscheiden. Infolge der Aufhebung des bekämpften Bescheides ist die Grundlage für die - überdies im Antrag auf eine unrichtige Rechtsgrundlage gestützte - Verfahrenshilfe weggefallen und der Antragsteller daher durch die nicht erfolgte Entscheidung darüber nicht in seinen Rechten verletzt oder beschwert. Aus demselben Grund brauchte auch nicht weiter auf die einzelnen sonstigen Beschwerdeanträge eingegangen werden.
Belehrung
Gegen diese Entscheidung besteht gemäß § 54 VwGVG die Möglichkeit der Erhebung einer Vorstellung bei der zuständigen Richterin des Verwaltungsgerichts Wien. Die Vorstellung ist schriftlich innerhalb von zwei Wochen ab dem Tag der Zustellung der Entscheidung einzubringen.
Ergeht an:
1) Herrn G., 1060 Wien, Rsb
2) Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Soziales, Sozial- u. Gesundheitsrecht, Region 2, Sozialzentrum Walcherstraße für den 1-9 u. 14 Bez. z.H.: Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, Stabsstelle Sozialrechtlicher Support, 1030 Wien, Thomas-Klestil-Platz 8 (der do. Akt folgt nach Rechtskraft und kann bei Bedarf hg. eingesehen werden), ZNW
Verwaltungsgericht Wien
Neustifter, OAR
Landesrechtspfleger