Sagte einer: „Der kann doch nicht rechtsextrem sein, er vertritt neoliberale Gedanken.“ Weit gefehlt! Friedman und seine Chicago-Boys hatten ihr Versuchslabor in Pinochets Chile. Das gilt auch 2014 noch: Banker Arseniy Yatseniuk („Yats“), des IMFs Wachhund und Victoria Nulands Schoßhündchen konnte in Kiew prächtig mit den Neonazimilizionären in seiner „Volksfront“-Partei. Welches Blatt Papier sollte da zwischen die „soziale Heimat-Partei“ FPÖ und die Martkentfesselungs-Schaustellertruppe der Kurz-ÖVP passen? Alles bleibt im Rahmen, wenn die Blauton-Regierung - bisher - weniger durch rassistische Entgleisungen als beschleunigte Sozialdemontage auffällt. Denn Arbeitslosen-Bashing hat immer Saison, nun aber besonders.
Neben der Abschaffung der Versicherungsleistung Notstandshilfe plant man die Selektion durch den „Markt“ eins zu eins in das Sozialsystem zu übernehmen. Je länger einen der Arbeitsmarkt ausspuckt, desto kleiner wird das Arbeitslosengeld. Ein Algorithmus berechnet künftig die „Förderwürdigkeit“ der Arbeitsuchenden praktisch ausschließlich nach Kriterien, die in einer fernen Vergangenheit als Diskriminierung gebrandmarkt worden sind: Geschlecht, Alter, Kinder, Herkunft, Gesundheitszustand usw. Bindet man das Sinken der Leistung zusätzlich an bestimmte Sprachkenntnisse, ist auch noch ein wenig Rassismus mit drinnen.
Die Sozialpolitik kommt als das Alter Ego des arbeitsgesellschaftlichen Verwertungszwangs zu sich, und der Vektor deutet in Richtung „Vernichtung unwerter Arbeitskraft“ im Namen des Marktes. Kriterien und Mittel differieren, gemeinsam ist der spätmodernen neoliberalen Marktreligion und den Nürnberger Rassegesetzen die Exklusion von „Schädlingen“. Der gesellschaftliche Konsens ist breit, und die medialen Helfer willig, um eine widerständige Realität niederzudröhnen. Die Presse macht die Beine breit, und die Regierung erwählte hauptsächlich „Standard“ und „Kurier“ zur Besorgung der propagandistischen Liebesdienste; das färbige Blatt als Verlautbarungsorgan der AMS-Führung (bzw. des Sozialministeriums) für die ideologischen Losungen, den „Kurier“ als Megaphon des Boulevards zur Vorbereitung des Mobs auf die Scheiterhaufen, die gerade für die Arbeitslosen aufgeschichtet werden.
Die Propagandalinie ist einfach: Der langfristige Trend einer seit 1973 – mit geringfügigen Schwankungen – steigenden Arbeitslosigkeit wird verdrängt, die Ursache der Arbeitslosigkeit in den Arbeitslosen gesucht; in der mangelnden Marktgängigkeit von deren Qualifikation oder ihrer moralischen Insuffizienz, vulgo Arbeitsunwillen. Die Jahre „2011 – 2016, als es zu wenige Stellen gab“ (Kopf, 24.8.), seien vorbei, es herrsche „Hochkonjunktur“ („Kurier“, 1.9.), und überhaupt sei die Ursache struktureller Arbeitslosigkeit mangelnde Qualifikation oder Wanderbereitschaft zu den offenen Stellen (Kopf 29.4.), nicht der immer noch gravierende Mangel letzterer.
Der Sozialministerin „ist weiterhin die Ausbildung der Langzeitarbeitslosen wichtig“, damit diese vermittelt werden könnten (2.11.). Schon ausgebildete Langzeitarbeitslose gibt es per definitionem also nicht. Ein Fachkräftemangel existiere, unter dem Erntehelfer und Wirtshauspersonal zu subsumieren seien (Kopf 24.8, „Kurier“, 1.9.), also mehr ein Billigarbeitskräftemangel. Es gehe nämlich aufwärts, auch wenn der Stellenzuwachs seit letztem Jahr nur sehr teilweise (zu ca. 26% im August 2018) arbeitsmarktwirksam war und mehr auf das Konto importierter Billigarbeitskräfte ging. Deren Vorbild soll das Wanderarbeiterdasein schmackhaft machen (Kopf 24.8.) - in der so brutalen wie vergeblichen Hoffnung, die Dressur eines reinen Arbeitswesens, das seine Arbeitskraft zu jedem Preis und an jedem Ort feilzubieten bereit ist, würde die sinkende Arbeitskraftnachfrage umkehren. Jedenfalls aber sei die Arbeitskraftverwertung unerlässlich für den Lebenssinn (Kopf 29.4.).
Ergo ist der Arbeitsunwillen der Arbeitslosen erstens schuld an der Arbeitslosigkeit und zweitens eine Sünde wider den Lebenssinn, ob offene Stellen existieren oder nicht. Suchen kann man ja immer. Da die Sanktionszahlen des AMS nur einen verschwindenden Anteil echter Stellenverweigerung enthalten dürften, der nicht explizit ausgewiesen wird (s. Oberdammer, Streifzüge 72), jongliert man wild damit. Der „Kurier“ nennt die 111.000 AMS-Sanktionen des Jahres 2017 unter der Überschrift „Immer mehr Arbeitslose verweigern Job-Angebote“(1.6.) und garniert dies mit bis zur Unkenntlichkeit entstellten VGH-Entscheidungen gegen AMS-Sanktionierte, ohne auch nur eine einzige der Niederlagen des AMS vor dem VGH zu referieren. In einem noch gar nicht abgeschlossenen Fall nimmt das Blatt das Urteil einfach vorweg. Jenseits aller hinderlichen Realitätsbezüge eröffnet uns die neue „Kurier“-Chefredakteurin später gleich ohne jede Quellenangabe, dass neun von zehn Arbeitslosen ihre Vorstellungstermine versäumten („Kurier“, 1.9.).
Den Vogel schoss freilich das Provinzblatt „Tiroler Tageszeitung“ (TT) ab, das aus den 55.000 Sanktionen wegen Versäumnis eines AMS-Termins solche wegen eines versäumten Vorstellungstermins gemacht hatte (13.6.). Und da ließ man nicht mit sich reden. Leserpostings, die den Unfug monierten, wurden entweder sofort zensuriert oder einige Wochen später mit den Accounts gelöscht, als die TT die Kommentar-Funktion auf Abonnenten einschränkte. Tabula rasa! Die Reaktion ist typisch für eine Branche, deren Presserat seinen „Ehrenkodex“ partout nicht auf die mediale Behandlung arbeitskraftmäßig Unverwertbarer anwenden will. Es regieren der Ausnahmezustand und seine Geheimtribunale: Als der Presserat die „55.000-versäumte-Vorstellungstermine-Lüge“ der TT genehmigt hatte, versuchte das Sekretariat dies noch unter Meinungsfreiheit zu rechtfertigen, während der durchwegs aus Soldschreiberlingen zusammengesetzte Senat lieber keine Begründung veröffentlichte. Bei der nächsten Ablehnung eines Verfahrens wurde nicht mehr bekannt gegeben, ob eine Begründung veröffentlicht werde, bei einem weiteren Fall verheimlicht, welcher Senat die Entscheidung getroffen hatte. Ist der Presserat mit allen Beschwerden erst durch, leugnet er womöglich seine eigene Existenz.
Da sich die fragilen Glaubensätze der Arbeitsgesellschaft bei Kontakt mit Sauerstoff immer leichter auflösen, werden die Medien folgerichtig zu luftdichten Containern zu deren Konservierung. Derartige Regression signalisiert zwar die Defensive dieser Gesellschaft an allen Fronten, ändert aber nichts an der Blutrünstigkeit ihrer Zerfallsprodukte. Als solches will auch die KurzIV-Regierung Opfer präsentieren, das Kopf-Abschneiden hat also nicht nur bei irren Jihadisten Saison. Und in den „Gesellschaften des Spektakels“ (Guy Debord) bedingen die wirklichen und die medialen Hinrichtungen einander.