Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung einer bereits von Frau Franziska Foissner (2017) veröffentlichten Kurzstudie.
Wenn Österreich nicht mehr an der Spitze mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit steht, sondern von Deutschland überholt wurde, so liegt das keineswegs daran, dass Hartz-IV-Reformen zu dieser Positionsveränderung beigetragen haben, sondern die Ursache ist nach Franziska Foissner (2017) ganz wo anders zu suchen.
Die Beschäftigungsentwicklung in den letzten Jahren in Deutschland unterscheidet sich kaum von jener in Österreich. Um 8,3 Prozent ist die Anzahl an Beschäftigten in Deutschland von 2008 bis 2016 gestiegen, in Österreich beträgt der Anstieg an Beschäftigten sogar 8,7 Prozent. Die fallende Arbeitslosenquote in Deutschland ist bei Betrachtung der BIP-Entwicklung auch nicht auf hohe Wettbewerbsfähigkeit und günstige makroökonomische Entwicklungen zurückzuführen, zumal die Wachstumsraten des BIP in Deutschland und Österreich sehr ähnlich sind, sondern demographische Entwicklung und Kurzarbeit haben dazu beigetragen, dass sich die deutsche Arbeitslosenquote besser entwickelt hat als die österreichische.
Es besteht nämlich eine Korrelation zwischen der Anzahl an Personen im erwerbsfähigen Alter (Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren) und der Arbeitslosenquote. Ist das Wachstum der Anzahl an Personen im erwerbsfähigen Alter geringer, so ist auch die Arbeitslosigkeit geringer. Zwischen 2008 und 2016 ist die Personengruppe im erwerbsfähigen Alter in Österreich um 5 Prozent gewachsen, in Deutschland aber hat sie stagniert. Die Arbeitslosenquote kann also nur dann konstant bleiben, wenn die Erwerbsbevölkerung in einem Land steigt und die Anzahl an Beschäftigten im gleichen Maße steigt. Stagniert aber die Bevölkerungsentwicklung und wächst hingegen die Beschäftigung in einer ähnlichen Größenordnung wie in Deutschland, so sinkt die Arbeitslosenquote. Genau diese Entwicklung hat zu günstigeren Bedingungen am deutschen Arbeitsmarkt geführt.
Die demographische Entwicklung ist teilweise auch durch eine größere Zuwanderung in Österreich als in Deutschland bedingt. Deutschland verzeichnete zwischen 2004 und 2015 eine Nettozuwanderung von 3,1 Mio. Menschen bzw. um 3,8 Prozent. Der Anstieg der Nettozuwanderung in Österreich betrug im selben Zeitraum 490.000 Menschen bzw. 6 Prozent und war somit stärker ausgeprägt.
In Österreich ist also die Anzahl an Personen im erwerbsfähigen Alter stärker gestiegen und somit gibt es auch einen Zuwachs bei der Erwerbsbevölkerung (= die Summe an Beschäftigten und Arbeitssuchenden). Nicht nur die Zuwanderung spielt eine Rolle, sondern auch die steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen. In Österreich ist die um 14,8 Prozent in den letzten 10 Jahren gestiegen, in Deutschland hingegen um nur 6,3 Prozent. Wenn Frauen sich dazu entschlossen haben, einer Erwerbsarbeit nachzugehen oder aktiv nach einer solchen zu suchen, dann scheinen sie auch in der Arbeitsmarktstatistik auf. Somit ist auch die Anzahl an Frauen, die ihre Erwerbsarbeit verlieren, höher und somit auch die Anzahl von Arbeitslosengeldbezieherinnen und Notstandshilfebezieherinnen.
In Deutschland ist die Arbeitslosenquote auch deshalb geringer angestiegen, weil es eine geringere Anzahl an Kündigungen gab. Das Kurzarbeitsprogramm mit verbesserten Zugangsmöglichkeiten und erhöhter staatlicher Förderung hat den deutschen Arbeitsmarkt stabilisiert. Darüber hinaus gab es auch Regulierungen der Arbeitszeit und Änderungen in der Regelarbeitszeit. Die Kurzarbeit in Deutschland hat dazu beigetragen, dass um 1,4 Stunden pro Woche weniger als in Österreich gearbeitet wird.
Wenn auch die Arbeitslosenquote geringer als in Österreich ist, so ist die Rate an Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland höher, was beweist, dass Arbeitsmarktreformen wie Hartz-IV nur bedingt erfolgreich waren. In Deutschland beträgt die Anzahl an Arbeitslosen, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind, 40,8 Prozent, in Österreich sind es 32,3 Prozent. Die hohe Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland ist auf eine sehr geringe Unterstützung und die Ausgliederung von Langzeitarbeitslosen aus der Arbeitslosenversicherung infolge der Hartz-IV-Reform zurückzuführen. Diese Reform hat aber auch eine höhere Erwerbsarmut zur Folge.
Wer Hartz-IV oder ähnliche Reformen wie beispielsweise die Abschaffung der Notstandshilfe propagiert, möchte bewusst den Niedriglohnsektor weiter ausbauen. Pühringer & Pürmayr (2017) argumentieren sogar, dass Hartz-IV aus armen Arbeitslosen arme Erwerbstätige gemacht hat und so die Gesellschaft zunehmend desolidarisiert. Neben mehr Armut und sozialer Ausgrenzung gibt es ein Endlos-Hamsterrad ohne jegliche Perspektiven. Deutschland befindet sich in einer prekären Vollerwerbsgesellschaft.
Gemäß EUROSTAT sind bereits 22,5 Prozent der Beschäftigten in einem Niedriglohnbereich tätig, in Österreich sind es immerhin noch 14,8 Prozent. Schweden hingegen hat den niedrigsten Prozentsatz im Niedriglohnsektor, nämlich 2,6 Prozent innerhalb der EU. Daraus kann man schließen, dass so ein Niedriglohnsektor keineswegs ein Naturgesetz, sondern allein eine Frage des politischen Willens und sozialen Gewissens ist. Dazu Pühringer & Pürmayr (ibid.):
Hartz IV ist kein geeignetes Modell für Österreich. Anders als BefürworterInnen oft glaubhaft machen wollen, wurde in Deutschland die Arbeitslosigkeit vorrangig durch einen Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und durch eine geringe Arbeitskräftemigration nach Deutschland reduziert. In Österreich steigt jedoch die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter noch immer und die Arbeitskräftemigration nach Österreich ist nachhaltig und im Verhältnis deutlich höher als jene nach Deutschland. Was Hartz IV jedoch sicher bewirkt hat, ist eine Segmentierung des Arbeitsmarktes in Leistende (im ersten Arbeitsmarkt) und Minderleistende (Minijobs zusätzlich zur Hartz-IV-Fürsorgeleistung), eine Stigmatisierung der Hartz-IV- EmpfängerInnen und damit verbunden eine Entsolidarisierung in der Gesellschaft. Hartz IV ist zudem eine Sackgasse. Jene, die dort landen, verbleiben zu 88 Prozent in diesem System, nur 12 Prozent gelingt nachhaltig der Ausstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Hartz IV ist eine Armutsfalle: Die Armutsgefährdungsquote von Arbeitslosen war im Jahr 2015 in Deutschland bei 69,1 Prozent, in Österreich lag sie bei 41,1 Prozent. Zudem vernichtet die dequalifizierende Beschäftigung volkswirtschaftliches Vermögen, das aus öffentlichen Investitionen in Bildung aufgebaut wurde. Das kann Österreich nicht wollen. Das darf Österreich nicht wollen.
Eine Abschaffung der Notstandshilfe mit dem Aufgang im Arbeitslosenbezug und einer degressiven Gestaltung würde nicht nur noch mehr Menschen in die Armut treiben, sondern sie würde auch vermehrt den sozialen Frieden in Frage stellen und gefährden. Allein der Terminus ‚Notstandshilfe’ ist für die heutige Zeit unpassend. Ein Erwerbsloseneinkommen, das existenzsichernd ist, daraus zu machen, wäre ein richtiger Fortschritt in unserer Gesellschaft im 21. Jahrhundert.
Quellenverzeichnis:
Eurostat (2017): Eurostat Database. Online: http://ec.europa.eu/eurostat/data/database (Aufgerufen am 22.12.2017)
Foissner, Franziska. 2017. „Arbeitslosigkeit in Deutschland und Österreich: Was steckt hinter den divergierenden Arbeitslosenquoten?“.
https://blog.arbeit-wirtschaft.at/arbeitslosigkeit-in-deutschland-und-oesterreich-was-steckt-hinter-den-divergierenden-arbeitslosenquoten/?print=pdf (Aufgerufen am 23.11.2017)
Pühringer, Judith/Pürmayr, Josef. 2017. „Warum Hartz IV alles andere als ein Erfolgsmodell ist“. https://www.awblog.at/warum-hartz-iv-alles-andere-als-ein-erfolgsmodell-ist/(Aufgerufen am 23.11.2017)