ARBEITSLOSE Trotz Verbot durch ein Urteil in höchster Instanz zwingen Berater des Arbeitsmarktservice Arbeitslose in ein umstrittenes Programm.
Marcel Tafelmaier
Sie tauschen sich über Internetforen und Websites aus. Arbeitslose, die auf das Arbeitsmarktservice (AMS) sauer sind. So schreibt "Anonym" am 29. Juni 2006 in das Gästebuch von www.soned.at: "Ich war heute beim AMS. Ich bat meine Betreuerin, mich aus dem Kurs Phönix zu nehmen. Sie meinte, dass die Teilnahme Pflicht ist. Ich fragte, ob sie sich sicher ist, dass ich hingehen muss. Sie meinte ja, sonst gibt's kein Geld."
Immer wieder taucht der Name "Phönix" auf. Bei diesem Projekt schiebt das AMS unter Androhung von Sanktionen die Problemfälle an private Unternehmen ab, die mit entmündigenden Methoden und extremem Druck versuchen, die Arbeitslosen wieder ins Erwerbsleben einzugliedern. Zielgruppe von Phönix sind etwa 1700 Wiener. "Es handelt sich um schwerst vermittelbare Langzeitarbeitslose. Die sind teilweise schon zehn bis zwanzig Jahre ohne Job. Manche sind obdachlos", sagt Hans-Paul Nosko, der Pressesprecher des Arbeitsmarktservice Wien "Die aufsuchende Vermittlungsarbeit wird von vielen als Psychoterror empfunden. Diese kommt einer Verfolgung gleich - Hausbesuche zu unangebrachten Zeiten, Telefonbelästigung, und sie gipfelt in der Befragung der Nachbarn", beschreibt Christian Moser, Obmann der Arbeitsloseninitiative "Arbeitslosensprecherin" das Programm. Bei der "aufsuchenden Vermittlung" kann es durchaus vorkommen, dass Betreuer plötzlich vor der Wohnung stehen. Außerdem werden die Arbeitslosen zu Bewerbungsgesprächen begleitet, und auch die werden zum Teil von den Betreuern geführt. Den Arbeitslosen wird seitens der Firmen auch mitgeteilt, dass sie jederzeit erreichbar sein müssten. "Wenn sie nicht mitarbeiten, kann es sein, dass um fünf Uhr früh oder elf Uhr abends jemand an der Tür läutet", sagt Moser.
Wie der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) schon im Jänner entschieden hat, dürfen Arbeitssuchende nicht zur Teilnahme an solch einer "aufsuchenden Vermittlung" unter Androhung von Sanktionen gezwungen werden. Das Gericht qualifizierte solche bewährungshelferähnlichen Maßnahmen als "Eingriffe in das Privatleben Arbeitssuchender". Nach Auffassung des VwGH ist ein Stopp der Notstandshilfe oder die Drohung damit jedenfalls rechtswidrig. Trotz Erkenntnis wird im AMS allerdings weiter gemacht wie bisher.
"Sie müssen daran teilnehmen, sonst gibt es keine Notstandshilfe mehr", musste sich Frau C. aus Wien von ihrer Beraterin anhören. Im vergangenen Juni - fast sechs Monate nach dem Urteil. "Wenn man keine Ahnung von der Rechtslage hat, überreden einen die Berater immer noch unter Androhung von Sanktionen", schildert Frau C, die im April 2003 ihren Job verlor. Die frühere Kellnerin in einem Fünfsternehotel hat keine Lehre absolviert und keinen Schulabschluss. Den wird sie ab September AMS, das die Ausbildung ursprünglich nicht fördern wollte, nachholen.
Wie kann es sein, dass hier ein VwGH-Erkenntnis offensichtlich ignoriert wird? AMS-Sprecher Nosko versicherte gegenüber dem Falter: "Alle Beraterinnen und Berater in Wien wissen über das Urteil Bescheid. Es hat damals ein Rundschreiben an alle gegeben." In Wien würden solche Methoden seither nicht angewandt. Es sei auch in Wien noch nie eine Bezugssperre ausgesprochen worden. Anscheinend haben aber nicht alle das Schreiben gelesen. Ein Testanruf des Falter beim AMS-Wien war ernüchternd. Auf die Frage, ob ein Freund aus dem Projekt Phönix raus könnte, sagt der Berater klar: "Er kann nicht einfach aussteigen. Da gibt es Vereinbarungen zwischen dem AMS und den Firmen von dem Kurs. Nur mit einem gravierenden Grund, wie Krankheit oder einem neuen Job, kommt er raus. Wenn er aussteigt oder nicht mehr teilnimmt, bekommt er sechs Wochen Bezugssperre. Beim zweiten Mal acht Wochen Sperre. Und dann beim dritten Mal fällt er ganz raus."
Aufsuchende Vermittlung: Hilfe für Langzeitarbeitslose oder Psychoterror?
Auch Frau Sch. aus Wien wurde ohne Erklärung ihres Beraters angemeldet. Die dreifache Mutter ist seit vier Jahren arbeitslos und war vorher Saisonarbeiterin im Stadionbad. Seit kurzem ist auch ihr Ehemann arbeitslos. Der Berater meinte noch vor wenigen Wochen nur knapp zu ihr: "Phönix ist eine Möglichkeit, sich weiterzubilden, und Sie müssen daran teilnehmen." Genaueres wüsste er aber auch nicht. Von freiwillig kann auch hier nicht die Rede sein. "Diese Maßnahme entmündigt arbeitslose Personen.
Auf soziale und gesundheitliche Umstände, Ausbildung, geschweige denn auf Wünsche wird nicht eingegangen. Einzig und alleine mit Druck sollen die Menschen in die Arbeit gedrängt werden", kritisiert Arbeitslosensprecher Moser. Während AMS-Sprecher Nosko jedem, der sich ungerecht behandelt fühlt, rät, die Vertrauenspersonen des AMS aufzusuchen, hat Moser noch einen griffigeren Tipp parat: "All jene, die zu einer 'aufsuchenden Vermittlung' geschickt werden und nicht freiwillig teilnehmen möchten oder auch schon dabei sind, sollen das VwGH-Erkenntnis kopieren und ihrem AMS-Betreuer vorlegen."
So hat es auch Frau C. gemacht. Sie zückte nach der Drohung der AMS-Mitarbeiterin, ihre Notstandshilfe zu streichen, das Urteil des VwGH und legte es ihrer Beraterin vor. Nach angeblicher Rücksprache mit dem Vorgesetzten hieß es dann, sie bräuchte nicht mehr an Phönix teilzunehmen. Ein kleiner Erfolg, den auch Frau Sch. geschafft hat. Als sie ihren Berater über das Urteil informierte, wurde der kreidebleich, berichtet sie. Er hatte - sagte er - von nichts gewusst.
Bildunterschrift: AMS-Sprecher Hans-Paul Nosko: „Alle Beraterinnen und Berater wissen über das Urteil Bescheid. Es hat ein Rundschreiben an alle gegeben"
Anmerkung Aktive Arbeitslose: Die das Programm Phönix durchführende Firma "gesellschaft für aus- und weiteribldung ges.m.b.h" wurde vom schwer umstrittenen Inhaber Fritz Miklau via Management-Buy-Out verkauft und ist seither nicht mehr so negativ aufgefallen. Der beständige Widerstand von Betroffenen dürfte mit zum Neustart der Firma geführt haben und ist daher in die Erfolgschronik der Erwerbslosenbewegung einzureihen.