Allgemein
Die Invaliditätspension ein Menschenrecht ist, das in Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert ist und zu dessen Umsetzung Österreich als Mitglied der Vereinten Nationen verpflichtet ist. Weiter ist die Invaliditätspension im ILO-Übereinkommen 128, von Österreich ratifiziert per 4.11.1969, geregelt, wonach die Invaliditätspension für den gesamten Fall der Invalidität zu gewähren ist, also auch im Falle voraussichtlich befristeter Invalidität und nicht nur im Falle dauerhafter Invalidität. Die Streichung der befristeten Invalidität sowie die bereits erfolge massive Einschränkung des Pensionsvorschusses sind somit als Ganzes grundsätzlich menschenrechtswidrig und völkerrechtswidrig!
Wie verweisen daher auf unsere Stellungnahme zum Stellungnahme zu „Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2012 – SVÄG 2012“, die nach wie vor Gültigkeit hat!
http://www.aktive-arbeitslose.at/news/20120907_Stellungnahme_invaliditaetspensionreform_2012.html
Zu den einzelnen Regelungen:
7. Im § 99 wird nach Abs. 1 folgender Abs. 1a eingefügt:
„(1a) Die Leistung ist der anspruchsberechtigten Person zu entziehen, wenn sie sich nach Hinweis auf diese Rechtsfolge weigert, an den ihr zumutbaren medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation mitzuwirken, und zwar für die Dauer der verweigerten Mitwirkung.“
Wie bereits in unserer Stellungnahme zum SVÄG 2014 ausgeführt bedeutet diese Regelung die Einführung menschenrechtswidriger Zwangsbehandlungen, wie sie ansonsten nur in Diktatur zu finden sind. Gerade was die „Zumutbarkeit“ von Zwangsbehandlungen betrifft ist die österreichische Rechtsprechung eine Zumutung: So werden beispielsweise Bandscheibenoperationen, die in 20% der Fälle erfolglos sind und zu massiven Gesundheitsschäden führen können, vom OGH als zumutbar bezeichnet. Wer ersetzt in den 20% des Misslingens den zwangsbehandelten Menschen den Schaden? Wie kann denn je zugefügter Schaden an der Gesundheit dieser Menschen je wieder gut gemacht werden?
Bei dieser Zwangsbehandlung kann es sich daher um einen Eingriff in das in Verfassungsrang stehende Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit nach Artikel 8 Europäische Menschenrechtskonvention handeln!
Besonders problematisch sind Zwangsbehandlung im psychiatrischen Bereich, da Psychopharmaka massive Nebenwirkungen haben und laut UNO Folterkonvention in bestimmten Fällen auch als Folter zu qualifizieren sind.
Neueren Studien zufolge sind beispielsweise Antidepressiva bei über 50% der PatientInnen unwirksam! Siehe zum Beispiel:
Die von Österreich ratifizierte „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ regelt in Artikel eindeutig und klar, dass Maßnahmen der Rehabilitation nur auf freiwilliger Basis möglich sein sollen. https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Dokumentnummer=NOR40102319
Durch die Zwangsregelung wird auch das grundlegende Menschenrecht auf freie Arztwahl missachtet und der praktische Behandlungserfolg gefährdet, denn nur wenn die volle Mitwirkung der Betroffenen kann zu echter Gesundheit führen. Und diese kann nur auf freiwilliger Basis sein.
Kein Mensch ist freiwillig invalide! Kein Mensch wird von sich aus einer sinnvoll erscheinenden Behandlung verweigern, bei der auch die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen gewahrt werden. Oft sind die Betroffenen mit mehrfachen Problemstellungen konfrontiert, weshalb der richtige Zeitpunkt für eine Rehabilitation nicht von oben herab gegen den Willen der Betroffenen festgelegt werden soll!
Diese Existenz gefährdenden Sanktionen verstoßen zudem unter anderem gegen folgende weitere Menschenrechte, zu denen sich Österreich völkerrechtlich verpflichtet hat:
Europäische Grundrechtecharta
- „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“ Artikel 1
- Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit, Artikel 3
Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte („UN-Sozialpakt „/“WSK-Pakt“):
- Recht auf soziale Sicherheit, Artikel 9:
- Recht auf angemessenen Lebensstandard, Artikel 11
- Recht auf Wohnen, Artikel 11 (drohender Wohnungsverlust durch Sanktionen!)
- Recht auf Gesundheit, Artikel 12
UN Kinderrechtskonvention (falls Kinder im Haushalt mit der sanktionierten Person leben)
- Recht auf Gesundheitsvorsorge, Artikel 24
- Recht auf soziale Sicherheit, Artikel 2
Einseitige Mitwirkungspflichten ohne explizite Rechte der betroffenen Bürgerinnen und Bürger gegenüber den Trägern von Rehabilitationsmaßnahmen sind kontraproduktiv für die Qualität und den Erfolg dieser Maßnahmen sowie mit den Grundwerten von Demokratie und Menschenrechten völlig unvereinbar und daher abzulehnen!
Zudem fehlen auf der anderen Seite im Sinne der Gleichheitsgrundsatzes Sanktionen für Mitarbeiter, die zu Unrecht Sanktionen verhängt haben. Das grundlegende Problem in Österreich ist, dass die sogenannten Schreibtischtäter freie Hand zum Machtmissbrauch haben und nur extrem schwer zur Rechenschaft und zur Schadenswiedergutmachung verpflichtet werden können.
Der Verein „Aktive Arbeitslose Österreich“ fordert daher die Aufhebung dieser Strafandrohung. Zumindest sollte das Existenzminimum unangetastet bleiben und ein Einspruch gegen die Zwangsbehandlung aufgrund des oft nicht wieder gut zu machenden Schadens, der durch die Zwangsbehandlung eintreten kann, muss auf jeden Fall eine aufschiebende Wirkung haben!
18. § 143a Abs. 3 und 4 werden durch folgende Abs. 3 bis 5 ersetzt:
(5) Vereitelt oder verzögert die zu rehabilitierende Person die im Rahmen des Case Managements vorgesehenen Abläufe oder Maßnahmen, indem sie ihren Mitwirkungsverpflichtungen nicht nachkommt, so kann der Krankenversicherungsträger verfügen, dass das Rehabilitationsgeld auf Dauer oder für eine bestimmte Zeit zur Gänze oder teilweise ruht, wenn die versicherte Person vorher auf die Folgen ihres Verhaltens schriftlich hingewiesen worden ist.“
Was für den geplanten Sanktionenabsatz in § 99 gilt, gilt erst recht für die neu geplante Sanktion beim Case Management, da hier bereits wesentlich geringere „Vergehen“ als die komplette Verweigerung einer Rehabilitation mit Entzug des Rehabilitationsgeldes bestraft wird: Bereits die Verletzung nicht näher bestimmter „Mitwirkungspflichten“ bei vorgesehenen „Abläufen oder Maßnahmen“ soll mit dem Existenzentzug bestraft werden. Hierunter würde bereits die verzögerte Vorlage von Befunden oder anderen Urkunden fallen! Der Bezug kann zudem „auf Dauer“ ruhen! Das ist völlig unangemessen! Dieser Absatz ist schon aufgrund seiner Unbestimmtheit aus unserer Sicht als verfassungswidrig abzulehnen!
Problematisch ist, dass im ASVG keinerlei Ausbildungs- und Qulifikationserfordernisse für die „Case Manager“ festgelegt werden, diesen Menschen aber weitreichende Gewaltmittel gegen andere Menschen in Form der Sanktionen in die Hand gegeben werden. Uns vorliegenden Informationen, haben bislang so gut wie keine der „Case Manager“ eine ihrer neuen Aufgabe entsprechende Ausbildung, obwohl deren Tätigkeit massiv in die Persönlichkeitsrechte der vom Rehabilitationsgeld abhängen Menschen eingreifen. Das ist mit den Grundwerten eines demokratischen Rechtsstaates völlig unvereinbar!
Menschen, die von Invalidität betroffen sind, die sie sich in der Regel nicht selbst ausgesucht bzw. zugefügt haben, sind mit vielfältigen Problemstellungen konfrontiert, sodass diese permanente Sanktiondrohung eine Form struktureller Gewalt darstellt, die höchst die Gesundheit gefährdend ist und eine Rehabilitation nur unnötig erschwert!
Untersuchungen in Deutschland haben ergeben, dass die permanente Sanktionsdrohung völlig kontraproduktiv. Die renomierte Hans-Böckler-Stifung stellt in der wissenschaftlichen Studie zur Wirkung von Sanktionen fest: „Häufiger als eine "aktivierende" ist eine lähmende Wirkung auf das Verhalten der Sanktionierten erkennbar. Nur in wenigen Fällen erhöhen Sanktionen die resignative Anpassungsbereitschaft an behördliche Erwartungen, die jedoch keine Hoffnungen auf verbesserte Arbeitsmarktchancen wecken.“1
Im vom Fonds „Gesundes Österreich“ finanzierten Studie „Würde statt Stress“ stell eine Umfrage fest, dass bereits 30% der in einer Online-Umfrage befragten Arbeitslosen Angst vor dem nächsten AMS Termin haben und dass 21 % physische und psychische Beschwerden bekommen, wenn sie einen Kurs machen müssen, den sie nicht ausgesucht haben.2
Zu Art. 1 Z 11 (§ 108e Abs. 2 Z 1 ASVG):
Aus demokratiepolitischen Gründen völlig inakzeptabel ist es, dass aus der „Kommission zur langfristigen Pensionssicherung“ die VertreterInnen der der im Nationalrat vertretenen politischen Parteien entfernt werden sollen. Wir werten das so, dass das alteingesessene rot-schwarze Proporzsystem wieder alleine unter sich ohne jede Kontrolle durch die Opposition sein will.
Demokratie ist aber eben nicht bloß die Diktatur der Mehrheitsparteien, sondern die „Herrschaft des Volkes“, weshalb wenigstens alle gewählten Parteien, die ja auch nicht einmal die NichtwählerInnen repräsentieren, weiterhin VertreterInnen entsenden sollen.
Die Begründung für den geplanten Ausschluss der ParteienvertreterInnen, nämlich dass es „sich dabei ausschließlich um gutachterliche Tätigkeiten zur Vorbereitung der Erfüllung ministerieller Kompetenzen; der Kommission kommen keinerlei Agenden der Gesetzgebung zu.“ ist mehr als fadenscheinig, denn gerade die Analyse des Pensionssystems selbst ist eine höchst politische Angelegenheit und stellt ja die Grundlage für die weiteren politischen Entscheidungen dar. Zudem ist es für den Wissenstransfer zu den EntscheidungsträgerInnen im Parlament wichtig, dass alle Parteien gleichen Zugang zu diesen Informationen haben!
Weitere Forderungen
Bei dieser Gelegenheit weist der Verein „Aktive Arbeitslose Österreich“ erneut auf seine grundlegenden Forderungen rund um die Invaliditätspension hin:
- Als Beitrag zur Armutsbekämpfung nach EU Agenda 2020: Schluss mit der Diskriminierung von BezieherInnen der Ausgleichszulage: Keine Abzüge (rund 50% !) bei Zuverdiensten unter der Geringfügigkeitsgrenze. Dies verbessert die Chancen auf Rehabilitation und fördert auch den Wiedereinstieg ins Berufsleben.
- Pensionsvorschuss ab Stellung des Antrags auf Invaliditätspension! Es ist mit den Menschenrechten unvereinbar, dass nun von Menschen, die möglicherweise invalide sind, die Arbeitswilligkeit abverlangt wird und dass diese völlig sinnlos teure AMS-Maßnahmen machen sollen, die deren Gesundheit gefährden können und sich um Jobs bewerben sollen, die sie aus gesundheitlichen Gründen gar nicht machen dürften!
- RECHT auf frei gewählte berufliche Rehabilitation für PensionsbezieherInnen
- Flexiblere Übergänge beim Wiedereinstieg ins Berufsleben, Verlängerung der Möglichkeit im Falle des gescheiterten Wiedereinstiegs in den Pensionsbezug zurück zu kehren auf zwei Jahre.
- Bei Wiedereinstieg ins Berufsleben volle Anrechnung der Zeiten in der Berufsunfähigkeits/Invaliditäts-/Erwerbsunfähigkeitspension als Pensionsersatzzeiten.
- Abschaffung des „Wohnhaftparagraphen“ § 89 Abs. 1 Z3 ASVG. Nach dieser Bestimmung bedürfen ASVG-Pensionisten – im Gegensatz zu Beamten – für einen länger als zwei Monate dauernden Auslandsaufenthalt der Zustimmung der PVA, die völlig nach freiem Ermessen getroffen wird.
- Alle Lebensbereiche mit Demokratie durchfluten: Einrichtung von Betroffenenvertretungen bei den Pensionsversicherungsanstalten und bei den Rehabilitationseinrichtungen mit vollen Informationsrechten. Auch die Internationale Arbeitsagentur fordert zur Wahrung der menschlichen Würde die Einbeziehung von Betroffenenselbstorganisationen!3
Wir schließen uns bei dieser Gelegenheit erneut den Forderungen der SHG Berufsunfähigkeitspension bezüglicher fairer Verfahren vor dem Arbeits- und Sozialgericht an:
- Beweislastumkehr: Der Pensionswerber steht wie ein Konsument einem mächtigen Apparat gegenüber. Die Pensionsversicherung hatte ja bereits die Möglichkeit, ihn in ihrem Verfahren zu untersuchen. Es ist daher ihre Angelegenheit, zu beweisen, dass der vom Pensionswerber vorgebrachte Leidenszustand nicht besteht.
- Anerkennung der Parteiaussage: Derzeit wird die Aussage des Pensionswerbers entweder nicht aufgenommen oder anderen Beweismitteln untergeordnet. Tatsächlich sind die authentischen Angaben des Pensionswerbers das wichtigste und authentischste Beweismittel. Seine Aussage muss voll anerkannt werden, vor allem dann, wenn Gutachter keine klare Aussage treffen. (In diesen Fällen wird derzeit die Angabe des Pensionswerbers als nicht bewiesen missachtet).
- Abschaffung des § 42 ASGG: Nach dieser Bestimmung kann der Versicherungsträger dem Sachverständigen nach Abgabe seines Gutachten ein höheres als im Gebührenanspruchsgesetz vorgesehenes Honorar zukommen lassen. Diese Macht einer Partei, einen Extrabonus an Sachverständige zu vergeben, führt zu deren struktureller Befangenheit. § 42 ASGG ist mit dem verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatz und dem Recht auf ein faires Verfahren nach Artikel 6 EMRK unvereinbar.
- Objektive Auswahl der Gutachter: Sachverständige werden derzeit vom Richter frei ausgewählt werden. Zur Ablehnung neigende Richter scharen dann kongeniale Sachverständige um sich. Wir fordern Zuteilung von Sachverständigen nach einem Zufalls- oder Rotationsprinzip.
- Recht auf zweites Gutachten: Derzeit kann ein Richter die Angaben seines Gutachters ohne Rücksicht auf gegenteilige Befunde und Gutachten, die der Pensionswerber vorlegt, zur „Gerichtswahrheit“ erheben. Wir fordern in diesen Fällen das Recht auf eine weitere Begutachtung durch einen nicht vom Verhandlungsrichter, sondern nach Zufalls- oder Rotationsprinzip bestimmten unabhängigen Sachverständigen.
Mit freundlichen Grüßen
Mag. Ing. Martin Mair
Obmann „AKTIVE ARBEITSLOSE“
1Ames Anne: Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II. Hans Böckler Stiftung, Düsseldorf 2009. http://www.aktive-arbeitslose.at/download/ames_anne_sanktionen.pdf
2Umfrageergebnisse unter http://www.aktive-arbeitslose.at/wuerdestattstress/wuerde_statt_stress_auswertung.html. Projektberichte unter http://www.alterskompetenzen.info/?gesundheitsprojekt_%22W%FCST%22
3International Labour Conference, 101st Session 2012. Report IV (2B) Social protection floors for social justice and a fair globalization. Promotion of and respect for rights and dignity: a briefing note http://www.ohchr.org/Documents/Issues/EPoverty/briefSPILO_Recommendation101.pdf
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