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Stellungnahme zu „Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungs­gesetz 1977 und das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz geändert werden (arbeitslosenversicherungsrechtlicher Teil des Bundesfinanzrahmen-Begleitgesetzes)“

Soumis par Aktive Arbeits… le lun, 27.02.2012 - 21:57

Allgemein

Der Verein AKTIVE ARBEITSLOSE findet es demokratiepolitisch sehr bedenklich, in einem doch recht umfangreichen Budgetentwurf auch zahlreiche Gesetzesänderungen hineinzu­packen, die so wie Änderungen der Invaliditätspension in soziale Grund- und Men­schen­rechte eingreifen und für die Betroffenen mitunter ausgesprochen negative Folgen haben können. Noch dazu, wenn die Begutachtungsfrist äußerst knapp bemessen ist. Damit soll wohl nach dem Motto „speed kills“ eine Beteiligung der Bevölkerung an der Gesetzesgebung erschwert werden und eine seriöse und tiefer gehende Diskussion der Gesetzesänderungen vermieden werden.

Gerade für von unfreiwilliger Armut betroffene und sozial ausgegrenzte Menschen erweist sich der Zugang zum Recht aufgrund bisheriger Belastungspakete als immer schwieriger. Das Recht auf ein faires Verfahren nach Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK), die in Verfassungsrang ist, wird zugunsten eines neoliberalen Spardiktats, aufgeweicht. Während auf der einen Seite eine kleine Schichte von Menschen immer reicher wird, werden durch eine sachlich nicht gerecht­fertigte Sparideologie der Rechtsstaat und die sozialen Grund- und Menschenrechte eines großen Teils der Bevölkerung schrittweise immer mehr beschnitten, sodass in zunehmenden Maße von einem Klassenstaat gesprochen werden kann.

Zu den Regelungen im Einzelnen:

Aufwandsentschädigung während Nach- und Umschulungen sowie Wiedereingliederungs­maßnahmen (Artikel X1 Punkt 3. und 4)

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn Mehraufwendungen durch AMS-Zwangsmaßnahmen abgegolten werden und indexiert werden. Der Zusatzbetrag von 1,68 Euro weist darauf hin, dass damit lediglich die Fahrtkosten abgegolten werden sollen. Der wesentlichste Mehraufwand liegt aber in zusätzlichen Ausgaben für die Verpflegung (Mittagessen). Für ganztägige AMS-Zwangsmaßnahmen ist daher entweder eine Verpflichtung für den  Maßnahmenträger eine adäquates Verpflegung (Mittagessen plus Pausengetränke) zu schaffen oder ein Verpflegungspauschale von 10,78 Euro vorzusehen. Weiters ist ein Kleidungspauschale von 70,42 Euro (Stellungnahme zu „Bundesgesetz, mit dem das Arbeitslosenversicherungs­gesetz 1977 und das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz geändert werden (arbeitslosenversicherungsrechtlicher Teil des Bundesfinanzrahmen-Begleitgesetzes)“ (27.2.2012)ür jede AMS Maßnahme einzuräumen.

Verschärfung der Bestimmungen für die Gewährung von Pensionsvorschüssen

Angesichts der ursprünglich verlautbarten de facto Abschaffung der Invaliditätspension für unter 50jährige sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der Invaliditätspension um ein grundlegendes Menschenrecht nach Artikel 25 Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen handelt. Mit dem Beitritt zu den Vereinten Nationen hat die Republik Österreich gemäß Charta der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, „die allgemeine Achtung und Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für jedermann ohne Unterschied von Rasse, Geschlecht, Sprache oder Religion“ zu fördern.

Weiters hat Österreich sich mit der Ratifizierung des „ILO Übereinkommen 102 - Übereinkommen über die Mindestnorm der Soziale Sicherheit, 195“ zu Mindeststandards bei der Invaliditätspension verpflichtet.

Es zeugt geradezu von einer Menschen verachtenden und sozialrassistischen Gesinnung wenn in den Erläuterungen die Rede davon die Rede ist, dass „eine missbräuchliche Inanspruchnahme, um sich der Vermittlung auf einen Arbeitsplatz oder der Zuweisung in eine Maßnahme zu entziehen, ausge­schlossen“ werde. Auch die Unterstellung, dass die Judikatur die Erfüllung der Voraussetzungen bei der Zuerkennung des Pensionsvorschusses zu weit auslege zeugt von einer rechtsstaatsfeindlichen Haltung der vom Steuerzahler finanzierten Politik und Verwaltung.

Die Realität ist genau umgekehrt: Der zunehmende und oft durch (menschen)rechts­widrige AMS-Zwangsmaßnahmen und entwürdigende Behandlung durch das AMS zerstören die Gesundheit jener Menschen, denen die Politik das in Bundesgesetzblatt 355/1972 (ILO-Übereinkommen 122 – Übereinkommen über die Beschäftigungspolitik, 1966“ versprochene Recht auf eine frei gewählte, zusagende, volle Beschäftigung, bei der die eigenen Fertigkeiten und Anlagen verwendet werden können, vorenthalten wird.

Nach einer von den AKTIVEN ARBEITSLOSEN für das Gesundheitsprojekt „Würde statt Stress“ durchgeführten Online-Umfrage fürchtet sich rund ein Drittel der Arbeitslosen vor dem nächsten AMS-Termin und bekommt gesundheitliche Beschwerden vor einem Kurs, den sie sich nicht selbst ausgesucht haben. Derartige Zustände sind mit einem demokratischen Rechtsstaat nicht vereinbar und deuten drauf hin, dass das AMS seinen gesetzlichen Aufgaben nach AMFG und AMSG nicht nachkommt.

Zu 6. § 23 Absatz 2:
Die Nennung von Arbeitsfähigkeit, Arbeitswilligkeit und Arbeitsbereitschaft sowie die übrigen Voraussetzungen der Leistungen widerspricht dem Zweck des Pensionsvorschusses und widerspricht dem Grundrecht auf Invaliditätspension, da diese im Falle einer Zuerkennung rückwirkend für diesen Zeitraum gewährt wird.
Nach ILO-Übereinkommen 102 Artikel 54 ist die Invaliditätspension zu gewähren, „sofern diese Unfähigkeit voraussichtlich dauernd ist oder nach Wegfall des Krankengeldes weiterbesteht“. Nach Artikel 58 ist die „Leistung Leistungen sind während der ganzen Dauer des Falls zu gewähren“. Genau das ist ja die Voraussetzung für den Pensionsvorschuss! Die völkerrechtswidrige Voraussetzungen von § 23 Absatz 2 sind daher zu streichen, da eine Anfechtung dieser menschenrechtswidrigen Bestimmungen bei der ILO in Genf zu erwarten ist.

Zu 6. § 23 Absatz 3:
Als rechtsstaatlich völlig inakzeptabel ist die für § 23 Absatz 3 vorgesehen Verpflichtung, VOR der Antragstellung ein ärztliches Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt einzuholen. Das Recht auf Antragstellung ist ein Grundrecht im Verwaltungsverfahren und darf keinesfalls derart massiv eingeschränkt werden. Gegen diese Regelung bestehen daher massive verfassungsrechtliche Bedenken und sie ist daher ersatzlos zu streichen. Das Antragsverfahren läuft ja auf die Erstellung ärztlicher Gutachten hinaus. Die vorgeschlagene Regelung läuft darauf hinaus,  bereits vor dem Einleiten des Verwaltungsverfahren alle amtswegigen Ermittlungsschritte als Vorleistung zu erbringen. Da die Terminsetzung nicht selbst beeinflusst werden kann, wird einem somit auch das Recht auf Wahl des Zeitpunktes einer Antragstellung genommen.

Zu 6. § 23 Absatz 5:
Die Einführung einer nach der durchschnittlichen Höhe der Leistungen widerspricht nicht nur dem Versicherungsprinzip sowohl der Arbeitslosenversicherung als auch der Pensionsversicherung sondern widerspricht auch dem Gleichheitsgebot der Verfassung sowie dem Grundsatz des Schutzes des Eigentums. Diese Deckelung widerspricht auch der Regelung im gleichen Absatz, dass wenn die zu erwartende Leistung niedriger sein wird, die Vorschussleistung entsprechend zu vermindern ist. Diese Ungleichbehandlung ist in sich unlogisch und unserer Meinung nach verfassungswidrig.

Zu 6. § 23 Absatz 8:
Wenn eine Leistung nicht zuerkannt wird, soll der – gedeckelt – Vorschuss als Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gelten. Das heißt, es wird keine Nachzahlung gewährt, wenn Notstandshilfe oder Arbeitslosengeld höher waren. Diese kalte Enteignung widerspricht der Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof, wonach auch die Notstandshilfe eine vermögenswerter Anspruch ist. Daher fordern wir, dass im Falle der Nichtzuerkennung der beantragten Anspruchs auch hier im Falle einer Unterzahlung während des Pensionsvorschusses eine Nachzahlung gewährt wird. Es ist schon bezeichnend für die sozialrechtsfeindliche Haltung des Gesetzgebers, wenn nicht einmal im Falle des vorherigen Bezugs des Arbeitslosengeldes eine Nachzahlung gewährt wird.

Auflösungsabgabe

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn versucht wird, dem Streben von Teilen der Wirtschaft Arbeitskosten durch häufige Ab- und Anmeldungen von Arbeitsverhältnissen Lohnkosten, die eigentlich nach § 1155 ABGB vom Unternehmen zu tragen wären, auf die Versicherungsgemeinschaft respektive die ArbeitnehmerInnen abzuwälzen. Ob diese doch eher geringe Abgabe dazu reichen wird, ist allerdings fraglich.
Kontraproduktiv sind die vielen Ausnahmen die für die Auflösungsabgabe vorgesehen sind und sachlich nicht wirklich gerechtfertigt erscheinen:

  • Warum Unternehmen durch eine Befreiung von der Abgabe belohnen, die Arbeitsbedingungen so schlecht gestalten, dass ArbeitnehmerInnen aus gesundheitlichen Gründen  vorzeitig austreten oder selbst kündigen, zumal bei Selbstkündigung ArbeitnehmerInnen, die in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt, durch die einmonatige Wartefrist nach § 11 AlVG bestraft werden.?
  • Bei der Auflösung eines Lehrverhätnisses ist kein Grund für diese Befreiung ersichtlich, da ja gerade der Missbrauch von Lehrlingen als billige Arbeitskräfte darin besteht, diese nach dem für den/die UnternehmerIn billigen Lehrverhältnis diese nicht mehr weiter zu beschäftigen.
  • Auch die Ausnahme für den Wechsel von Arbeitsverhältnissen innerhalb von Konzernen verleitet zu Missbrauch in dem die Tendenz von Konzernunternehmen durch Auslagerung von Personal in Tochterfirmen das Personal gegen dessen Willen in billigere Kollektivverträge auszulagern unterstützt wird.

Keinesfalls soll eine Ausnahmeregelung für sogenannte „sozialökonomische Betriebe (SÖBs)“ und „gemeinnützige Beschäftigungsprojekte (GBP)“ geschaffen werden, da diese allzu oft nur zur Verfälschung der Langzeitsarbeitslosenstatistik mißbraucht werden und für die Betroffenen ArbeitnehmerInnen nur von geringem Nutzen sind. Diese Betriebe umgehen. Aufgrund der unserer Meinung nach  sittenwidrigen Transitarbeitskräfteüberlassung (keine Anrechnung von Vordienstzeiten und Qualifikationen, keine Gehaltsvorrückungen daher Verletzung des Grundsatzes Gleiches Bezahlung für gleiche Arbeit sowie des kollektivvertraglichen Differenzierungsgebots zum Schutz des sozial Schwächeren) haben diese Betriebe sowieso schon einen Kostenvorteil gegenüber reguläre Wirtschaftsbetriebe und bewegen sich unserer Meinung nach teilweise im Graubereich der Wettbewerbsverzerrung. Eine weitere Bevorzugung dieser zweifelhaften Betriebe, deren Geschäftsgrundlage die Missachtung der Menschenrechte ist, wie zum Beispiel die Zwangszuweisung unter menschenrechtswidriger Androhung des Existenzentzuges durch das AMS, ist unserer Meinung nach nicht gerechtfertigt.

Positiv anzumerken ist die ausnahmsweise sachdienliche Zweckbindung der Auflösungsabgabe zur Förderung der Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen. Angesicht der ausufernden Tendenz der zweckwidrigen Umwidmung – um nicht zu sagen Enteignung – diverser Abgaben und Gebühren eine geradezu löbliche Ausnahme!

Insgesamt empfinden wir es geradezu als skandalös und den Zusammenhalt der Gesellschaft zersetzend, dass beim als „Sparpaket“ titulierten Belastungspaket in erster Linie die schwächsten der Gesellschaft völlig unverdienter maßen zum Handkuss kommen, während jene, die zur Steigerung ihres auf Kosten der Gesellschaft erzielten Reichtums anderen Menschen durch Arbeitsplatzvernichtung und Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer die Lebensgrundlage rauben, so gut wir gar nichts zum „Sparpaket“ beitragen.

Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass bereits seit über 20 Jahren trotz steigenden Reichtums der Gesellschaft die Zahl der Arbeitslosen, Armen und Prekarisierten Menschen im steigen ist, obwohl das gesetzliche Ziel der Arbeitsmarktpolitik die Vollbeschäftigung mit frei gewählter voller und möglichst produktive Arbeit ist, die allen Menschen eine Hebung des Lebensstandars ermöglicht (ILO Übereinkommen 122, BGBl 355/1972).

Wie wäre es, wenn ausnahmsweise auch einmal die Politik ihren Verpflichtungen nachkäme anstatt der einfachen Bevölkerung immer neue Lasten aufzubürden?
Mit freundlichen Grüßen

Mag. Ing. Martin Mair
Obmann „AKTIVE ARBEITSLOSE“

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