Arbeitsmarkt. Wer einen zumutbaren Job oder eine Schulung ablehnt, dem wird das Arbeitslosgeld gesperrt. Voriges Jahr sind diese Sanktionen regelrecht explodiert.
VON JEANNINE HIERLÄNDER
Wien. Ist es zu leicht, in Österreich auf Kosten der Allgemeinheit zu leben? Diese Frage wurde vorige Woche anlässlich der Reform der Mindestsicherung ausgiebig diskutiert. Bei Arbeitslosengeld und Notstandshilfe gibt es immer wieder Missbrauchsfälle. Wer einen zumutbaren Job oder eine Schulung nicht annimmt oder sich gar nicht erst bewirbt, muss damit rechnen, dass ihm die Bezüge gesperrt werden. Diese Sanktionen sind 2018 regelrecht explodiert. Das zeigen Zahlen des Arbeitsmarktservice (AMS), die der „Presse“ vorliegen. Österreichweit wurden 44.733 Sperren wegen Verweigerung oder Vereitelung einer Arbeitsaufnahme oder Schulungsmaßnahme verhängt. Das war ein Anstieg um 76 Prozent gegenüber 2017.
Besonders drastisch war der Anstieg in Wien: In der Bundeshauptstadt haben sich die Sperren wegen Missbrauchs des Arbeitslosengeldes auf 14.714 beinahe vervierfacht (siehe Grafik). Beim ersten Verstoß werden die Bezüge für sechs Wochen gestrichen, beim wiederholten Mal für acht. Wer sich als gänzlich arbeitsunwillig erweist, riskiert eine endgültige Streichung von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe. Die Zahl dieser Fälle war im Vorjahr mit 521 zwar relativ überschaubar. Im Vergleich zu 2017 hat sich die Zahl der komplett Arbeitsunwilligen aber mehr als verdoppelt. Die Wirtschaft wuchs 2018 kräftig um fast drei Prozent, die Arbeitslosigkeit war rückläufig und die Unternehmen schufen haufenweise Jobs: Im Jahresdurchschnitt waren beim AMS 71.545 sofort verfügbare offene Stellen gemeldet, ein Plus von 26 Prozent. Es gibt mehr Arbeit – und das AMS geht strenger gegen Arbeitsunwillige vor: In der Wiener Landesgeschäftsstelle etwa hat man schon Mitte 2017 einen Schwerpunkt gesetzt. „Es gibt mehr Jobs bei knapper werdenden Mitteln. Da ist es ein Gebot der Stunde, zu schauen, dass die Leute die Vereinbarungen auch einhalten“, sagt ein Sprecher.
Zimmerpflanzen als Ausrede
Ein Grund für die Sperre kann sein, dass jemand einen Job mit der Begründung ablehnt, dass die Bezahlung zu niedrig sei, obwohl sie dem Kollektivvertrag entspricht. Die Ausreden sind mitunter reichlich kurios: Ein Kandidat gab zu Protokoll, dass er sich nur bei Firmen vorstellen könne, wenn es nicht regnet, weil er keine Gummistiefel habe. Ein anderer sagte, er könne nicht aus dem Haus gehen, weil er eine Narbe im Gesicht habe, die man deutlich sehe, seit er sich rasiert hat. Ein anderer suchte sich selbst eine Stelle, war bei Dienstantritt aber so betrunken, dass er sie gleich wieder los war. Sogar Haustiere und aufwendige Zimmerpflanzen müssen als Ausreden herhalten.
Den allseits bekannten Fall vom vermeintlichen Bewerber, der sich nur den Stempel holen will, gibt es freilich auch. Ein offenbar nicht allzu motivierter AMS-Kunde schrieb an ein Unternehmen, er sei an dem ausgeschriebenen Job interessiert, „aber nur, wenn euch das auch interessiert“. Er müsse in jedem Fall vorbeikommen, „um das abstempeln zu lassen“.
Wiener müssen nach Tirol
Das Wiener AMS forciert seit Anfang 2018 auch die überregionale Vermittlung. Tourismusbetriebe in Westösterreich suchen dringend Personal. Passende Arbeitslose in Wien, die keine Betreuungspflichten haben und vom potenziellen Dienstgeber ein Quartier gestellt bekommen, müssen nun auch Jobs in Tirol oder Salzburg annehmen. Die Strategie scheint zu fruchten: Gastrobetriebe in Wien berichteten dem AMS zuletzt, dass sie deutlich mehr Bewerbungen aus Wien hätten. Beim AMS führt man das darauf zurück, dass die Leute fürchten, sonst „in den Westen“ vermittelt zu werden.
Die Regierung plant, die Zumutbarkeitsbestimmungen per Gesetz zu verschärfen. Am Mittwoch sagte Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ), sie wolle die Treffsicherheit und die Nachhaltigkeit bei der Vermittlung von Jobs durch das AMS erhöhen. Die größte Herausforderung stelle dabei die Qualifikation der Arbeitssuchenden dar, so die Ministerin.
Copyright © 2019 Die Presse 17.01.2019