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Krise der Lohnarbeit überwinden statt Zwangsprogramm "gemeinnützige Arbeit für Langzeitarbeitslose"

Submitted by Aktive Arbeits… on Mon, 10.10.2016 - 12:09

OFFENE STELLUNGNAHME

zur Online-Umfrage in der Kleinen Zeitung vom 20./21.08.2016:

Sind Sie dafür, dass alle Langzeitarbeitslosen zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden?“

Anlässlich der Online-Umfrage in der Kleinen Zeitung im August 2016, die darüber abstimmt, ob Langzeitarbeitslose zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden sollen, veröffentlicht der Verein „Aktive Arbeitslose Österreich“ die folgende offene Stellungnahme:

Wir empfinden die Umfrage und Abstimmung als reine Hetze gegen eine Gruppe von Menschen, die keine Lobby hat. Niemand gehört gerne und freiwillig dieser Gruppe an. Auch bringen derlei Abstimmungen, ausser Anfeindungen und Unmut, gar nichts, weil die wirklichen Probleme nicht erfasst und damit auch nicht gelöst werden.

Es scheint der Redaktion der Kleinen Zeitung nicht bewusst zu sein, dass gemeinnützige Arbeit schon von Langzeitarbeitslosen in sozialökonomischen Betrieben und gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten am „zweiten Arbeitsmarkt“ zu oft menschenunwürdigen Bedingungen (keine Anwendung der regulären Branchenkollektivverträge, sehr schlechte Bezahlung oder manchmal auch keine sozialversicherungspflichtige Entlohnung, weil bei „Arbeitstrainings“ der Arbeitslosengeldbezug oder das Notstandsgeld als „Bezahlung“ angesehen wird) verrichtet wird. Hierbei ist auch festzuhalten, dass diese Form der „Zwangsbeschäftigung“, die eigentlich für Menschen mit psychischen Problemen, Drogenproblemen, Vorstrafen oder sonstigen Produktivitätseinschränkungen gedacht war, aber immer mehr auch auf Langzeitarbeitslose, die diese Probleme und Einschränkungen nicht aufweisen, ausgedehnt wird, um Bezugssperren zu erreichen, Betrieben und Einrichtungen, die professionell dafür zuständig sind (z.B. Gartenbauunternehmen, Stadtpflegeeinrichtungen, usw.), finanzielle Einbußen bringt und damit dort zu einem Arbeitsplatzabbau führt, wenn andere gratis oder unterbezahlt zu solchen Tätigkeiten gezwungen werden.

Man wird die Problematik der Massenarbeitslosigkeit nicht lösen können, wenn man sich nicht der wahren Problemstellung widmet, nämlich, dass sich die Welt schon lange in einer globalen Systemkrise befindet. Das Wirtschaftswachstum ist von Natur aus begrenzt, da auch der Planet physikalisch begrenzt ist. Automation, Digitalisierung und Robotisierung sind nicht aufzuhalten. In den vergangenen Jahrzehnten wurden dadurch nicht nur viele Erwerbsarbeitsplätze ersatzlos vernichtet, sondern es werden in den nächsten 10 bis 15 Jahren auch noch verstärkt weitere Erwerbsarbeitsplätze vernichtet werden. Der Traum der Menschheit war doch schon immer, sich von der Arbeit zu befreien und die Mühsal der Arbeit an Maschinen zu delegieren. Das Ziel ist in Griffweite und wir jammern bzw. halten das lächelnde Aas der Lohnarbeitsgesellschaft künstlich am Leben. Automation, Digitalisierung und Robotik treffen nicht nur die gering- oder mittelqualifizierten, sondern auch die höherqualifizierten Bereiche. Vor allem die Digitalisierung hat schon höherqualifizierte Bereiche getroffen. Wikipedia bedeutete das Ende des „Brockhaus“, Online-Wörterbücher bringen jeden Wörterbuchverlag in die Bredouille.

Viele Dinge, die vorher nur von qualifiziertem Personal ausgeführt werden konnten und durften, machen dank des technologischen Fortschritts die Endverbraucher (Konsumenten) heute selbst. Dazu zählen beispielsweise Banküberweisungen, Kontoauszugsbeschaffung, Installieren von Computerprogrammen auf einem Computer, Aktualisierung von Software elektronischer Geräte (der sogenannten „Firmware“) bis hin zum Bezahlen an den Scanner-Kassen in ausgewählten Supermärkten oder auch die Selbstabholung bzw. der Selbstversand von Paketen oder Briefen in Postämtern.

Der Verein „Aktive Arbeitslose Österreich“ ist entschieden dagegen, dass Menschen (nicht nur Langzeitarbeitslose) zu etwas verpflichtet, sprich: gezwungen werden sollen. Jeder Mensch hat ein Recht auf frei gewählte Arbeit. Das MENSCHENRECHT auf frei gewählte Arbeit ist eine wesentliche Grundlage der Demokratie. Werden Menschen zu einer Arbeit gezwungen, die meist auch noch schlecht bezahlt ist, dann wird die Arbeit nur widerwillig und bald gar nicht mehr ausgeführt, was wiederum zu höheren Kosten führt.

Eine Grundvoraussetzung für eine Arbeit ist, dass man sich dafür interessiert, die Fähigkeit und das Talent mitbringen muss und die Arbeit auch wirklich machen will. Trifft dies nicht zu, wird die Arbeit nie gerne und nie sorgfältig genug verrichtet werden, ausser man bezahlt sie entsprechend hoch. Wir können uns schon vorstellen, dass sehr viele bereit wären, für 1000 (in Worten: tausend) Euro die Stunde, Toiletten putzen zu gehen.

Es ist generell vieles zu hinterfragen. Was macht die Arbeit einer Bankangestellten, die eine Abteilung leitet, so besonders, dass sie dafür 3000 Euro bezahlt bekommt? Wieso werden die armen Arbeitslosen stigmatisiert und ausgegrenzt, die reichen Arbeitslosen – man nennt sie auch „Privatiers“ – die in einem Club Golf spielen, aber nicht? Wieso regt sich niemand über leistungslose Spitzeneinkommen von Milliardären auf, die durch ihre Erträge noch reicher werden? Wieso regt sich niemand über Models auf, die auf Instagram und Facebook mit ihren Nacktbildern und Werbung viel Geld einkassieren? Wieso regt sich niemand über die Finanzmärkte auf, die hohe Gewinne erwirtschaften, aber trotzdem keine Erwerbsarbeitsplätze schaffen?

Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft sollten endlich erkennen, dass nicht der Mensch für die Wirtschaft, sondern die Wirtschaft für den Menschen da ist. Immer sind Erwerbsarbeitslose selbst schuld an ihrer Arbeitslosigkeit, nie ist die Wirtschaft bzw. deren Unternehmer daran schuld, obwohl es gerade diese sind, die aus Kostengründen Stellen abbauen, auf billiges Personal aus dem Ausland zugreifen, eine Produktionsstätte in ein Billiglohnland auslagern, sobald die Konditionen im eigenen Land nicht mehr stimmen, ständig jammern, sie fänden kein geeignetes Personal, aber selbst nicht bereit sind, dieses selbst auszubilden, weil es ihnen Kosten verursachen würde.

Gegen Erwerbsarbeitslose und Langzeitarbeitslose zu hetzen, stellt eine Bekämpfung der Arbeitslosen, nicht aber der Arbeitslosigkeit dar. Dieser Krieg gegen die Arbeitslosen führt nur dazu, dass der Druck erhöht wird, schlecht bezahlte, gesundheitsschädigende und unsichere Arbeit anzunehmen. Das untergräbt die Rechte aller Arbeitnehmer, weil diese Angst haben, durch billigere Arbeitskräfte ersetzt zu werden und immer schlechtere Arbeits- und Lebensbedingungen hinzunehmen. Dies würde den Niedriglohnsektor nur noch weiter ausdehnen. Deshalb sind auch die 1-Euro-Jobs kategorisch abzulehnen! Auch das Rütteln an sozialen Absicherungen ist menschlich verwerflich. Gerade in einer Zeit der hohen Erwerbsarbeitslosigkeit muss man aus wirtschaftspolitischer Sicht genau umgekehrt reagieren, nämlich Arbeitslosengeld und Notstandshilfe anzuheben, soziale Absicherungen zu gewährleisten und auszudehnen anstatt sie auszudünnen.

Es ist nur von Vorteil, wenn die Menschen beim Annehmen von Jobs wählerisch sein können, weil sie dadurch ihre Qualifikationen bewahren können. Wird man gezwungen, irgendeine Arbeit anzunehmen, führt dies nur zur Dequalifikation. Wer einmal als qualifizierter Facharbeiter oder als Akademiker einen Hilfsjob annehmen muss und diesen vielleicht sogar noch länger ausführt, wird nachher nicht mehr als Facharbeiter oder Akademiker arbeiten oder eine Stelle finden können. Man wird dann noch mehr stigmatisiert und von der Wirtschaft ausgegrenzt.

Die Arbeit ist schon länger ungleich verteilt, wie auch das Kapital. Die Arbeit muss gerechter verteilt werden, eine Wochenarbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden oder darunter bei vollem Lohnausgleich ist unausweichlich. Die Wochenarbeitszeitverkürzung wurde seit den 80er Jahren nicht mehr fortgesetzt. Stattdessen hat man vermeintliche Unterbeschäftigungslöcher, die durch die Technologisierung entstanden sind, durch einen aufgeblähten Verwaltungsapparat, der ebenfalls enorme Kosten verursacht, zu stopfen versucht. Dabei entstand viel Arbeit, die gesellschaftlich aber keinen Nutzen bringt, sehr wohl aber viel Geld verschlingt und zur Energieverschwendung und Ausbeutung von Erdressourcen beiträgt.

Da Automation, Digitalisierung und auch die Robotik nicht aufzuhalten sind, muss auch die Diskussion um die Erwerbsarbeitslosigkeit ganz anders geführt werden. Wir müssen uns fragen, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen. Was macht ein gutes Leben aus? Was braucht man für ein gutes Leben? Wie wollen wir leben? Was ist uns wichtig? Wollen wir dem schnöden Mammon dienen, damit jemand auf unsere Kosten seinen Profit hat, oder wollen wir doch mehr Freizeit, um für Familie oder Freunde da zu sein, künstlerischen und kreativen Tätigkeiten nachgehen, uns eigenen Projekten widmen oder wollen wir weiterhin in einem Hamsterrad uns kaputt arbeiten?

Es nützt einem kein 16-Stunden-Arbeitstag, wenn man sich die zwei Autos und die zwei Eigentumswohnungen aufgrund der Bezahlung (sofern es noch Unternehmen gibt, die so viel zu zahlen bereit sind) zwar leisten kann, aber letztendlich nichts davon hat, wenn man sofort müde ins Bett fällt oder einen Burnout erleidet oder sonstige gesundheitliche Schäden davon trägt.

Wir in der Gesellschaft müssen uns fragen, was Menschen an SINNVOLLER Beschäftigung brauchen. Viele Arbeiten sind sinnentleert, kosten viel, bringen der Gesellschaft aber keinen Nutzen. Der englische Anthropologe David Graeber, beispielsweise, hat sich umfassend mit den sinnlosen bzw. unsinnigen Arbeiten („Bullshit Jobs“) auseinandergesetzt.

Zu einem guten Leben gehört sicher eine sinnvolle Erwerbsarbeit, aber eben nicht jede Arbeit. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass aufgrund der fortschreitenden Technologisierung eben diese Erwerbsarbeit nicht mehr, sondern weniger wird. Schon der US-Ökonom Jeremy Rifkin hat seinerzeit in den 90er-Jahren in seinem Buch „The End of Work“ („Das Ende der Arbeit“) darauf hingewiesen. In seinem aktuellen Buch „The Zero Marginal Cost Society – The Internet of Things, the Collaborative Commons, and the Eclipse of Capitalism“ („Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft – das Internet der Dinge, kollaboratives Allgemeingut und der Rückgang des Kapitalismus“) zeigt er auch auf, wohin wir uns als Gesellschaft und arbeitsmäßig bewegen.

Auch andere US-Ökonomen wie James K. Galbraith („The End of Normal“ – „Wachstum neu denken“) oder Joseph Stiglitz („The Great Divide“ – „Arm und Reich“) zeigen vor, dass wir umdenken müssen, was Wachstum und Kapital anbelangt. Da wir in einer globalen Systemkrise stecken, gelten deren Argumente nicht nur spezifisch für den US-amerikanischen Bereich, sondern genauso für Europa.

Über eine Rückverteilung des Reichtums muss diskutiert werden, denn die Wirtschaft ist von uns allen aufgebaut worden. Die Gewinne, vor allem jene, die durch Automation, Robotisierung und Digitalisierung erwirtschaftet werden, hingegen kommen aber nur einigen wenigen, denen die Maschinen und die Technik gehören, zugute. Es sollen alle an der Gesellschaft teilhaben können, sozial und materiell. Vielen Menschen geht es offensichtlich nicht in den Köpfen hinein, dass der Zeitpunkt, an dem der Gelderwerb von einer Erwerbsarbeit entkoppelt sein wird, unaufhaltsam näher rückt. Solange noch Zeit und Luft ist, sollte man sich ernsthaft über ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Gedanken machen. Ewig Zeit ist nicht, vor allem dann nicht, wenn das Prekariat kippen wird.

Die Umfrage über die Langzeitarbeitslosen hat einen rein manipulativen Charakter, weil die meisten Menschen gar nicht verstehen, was wirklich gemeint ist und welche Auswirkungen es im bestehenden System gibt, weil auch die Kleine Zeitung darüber nicht berichtet, vielleicht auch deshalb nicht, weil es in der Redaktion anscheinend keine Menschen gibt, die sich über die derzeitige Systemlage wirklich im Klaren sind. Wir bieten Ihnen aber gerne an, das Gespräch mit uns zu suchen, in dem wir unsere Sichtweisen darlegen und über unsere Erfahrungen berichten können.

AKTIVE ARBEITSLOSE ÖSTERREICH

und

AKTIVE ARBEITSLOSE KÄRNTEN
Regionalgruppe Kärnten der Aktiven Arbeitslosen Österreich

 

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