Arbeit. Die Arbeitslosigkeit sinkt, aber unter Akademikern steigt sie. Weil es immer mehr Akademiker gibt, sagen Experten. Aber ist es wirklich nur das?
VON JEANNINE HIERLÄNDER
Wien. Früher einmal, da war die Sache einfach. Wer in den 1970er- und 80er-Jahren einen Uni-Abschluss in der Tasche hatte, musste nicht weiter nachdenken: Der Job war ihm sicher, die Karriere vorgezeichnet. Aufstieg und Lohnsteigerungen inklusive. Dass diese Zeiten vorbei sind, ist nichts Neues. Aber die aktuellen Zahlen zeigen eine unangenehme Entwicklung. Die Arbeitslosigkeit geht Monat für Monat zurück. Unter den Akademikern sinkt sie nicht nur schwächer als unter Menschen mit Matura, Lehre oder ohne Abschluss. Im Februar und März legte die Akademikerarbeitslosigkeit sogar um vier Prozent zu. Bei Lehrabsolventen war sie um zehn Prozent rückläufig.
Experten haben dafür zunächst eine simple Erklärung: Es gibt mehr Akademiker. Im Jahr 2016/17 zählte man in Österreich über 62.000 Studienabschlüsse. Das waren um 68 Prozent mehr als acht Jahre davor, wie Daten des Arbeitsmarktservice (AMS) zeigen. 2007 hatten 12,8 Prozent der unselbstständig Beschäftigten einen Hochschulabschluss, zehn Jahre später waren es 18,8 Prozent. Aber auch die Arbeitslosenquote, die die Arbeitslosen in Relation zu den Beschäftigten setzt, steigt unter Akademikern – in den vergangenen zehn Jahren von 1,9 auf 3,3 Prozent. „In Anbetracht des geringen Ausgangsniveaus ist das ein deutlicher Anstieg“, sagt Helmut Mahringer, Arbeitsmarktexperte beim Wifo.
Dass die Zahl der Akademiker
zunimmt, hat viele Gründe: Mit dem Bologna-Prozess wurde in Österreich der Bachelorabschluss eingeführt. Die Zuwanderung steigt – auch von Akademikern. Außerdem ist es heute nicht mehr so leicht, in Frühpension zu gehen. Deshalb tummeln sich auch mehr ältere Akademiker auf dem Arbeitsmarkt. Um sie kümmert sich Thomas Wychodil. Er leitet das Akademikerzentrum des AMS in Wien und betreut rund 900 arbeitslose Hochschulabsolventen im Jahr. Der Großteil von ihnen ist zwischen 25 und 45 Jahre alt, 30 Prozent seien 45 Jahre alt oder älter. Zu seinen Hauptkunden zählen Absolventen von Massenstudien. „Wir mussten aber beobachten, dass auch Personen mit technischen Abschlüssen zu uns kommen.“
Gesucht: Informatiker, Ingenieure
Und hier wird es paradox. Die Unternehmervertreter vermelden gerade im Bereich Technik den größten Mangel. In Deutschland flammt die Debatte über den „Akademisierungswahn“, getrieben von der Industrie, regelmäßig auf. Produziert das System auch bei uns zu viele Akademiker? „Genau das Gegenteil ist der Fall“, sagt Gudrun Feucht, Bildungsexpertin bei der Industriellenvereinigung. Die Nachfrage nach Akademikern steige. Der große Knackpunkt sei es, die Drop-out-Quote zu reduzieren. „Wenn man nur die klassischen Hochschulabschlüsse zählt, dann liegt die Akademikerquote mit 17 Prozent weit unter dem Industrieländerschnitt von 30 Prozent“, sagt Feucht. Die österreichische Industrie sucht aktuell vor allen anderen Informatiker, Elektrotechniker, Maschinenbauer, Mechatroniker und Wirtschaftsingenieure.
Nachfrage nach Technikern hält an
Warum gibt es gleichzeitig arbeitslose Techniker? Wychodil vom Akademikerzentrum erklärt das damit, dass die Industrie eher in der Steiermark und in Oberösterreich suche. Davon hat ein Techniker in Wien, wenn er nicht übersiedeln will, wenig. Außerdem würden ältere Menschen oft per Online-Bewerbungsmaske ausgesiebt. „Ohne dass sie das wissen“, sagt Wychodil.
Für das AMS sind Akademiker immer noch die pflegeleichteste Klientel, weil ihnen eine hohe „Selbsthilfekompetenz“ zugeschrieben wird. Und während ihre Arbeitslosenquote mit 3,3 am niedrigsten ist, beträgt sie unter Menschen, die höchstens die Pflichtschule haben, 22,8 Prozent.
Wer nach dem Studium gut verdienen will, sollte jedenfalls aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik wählen. „Die Einstiegsgehälter liegen hier oftmals über den Kollektivverträgen“, sagt Sabine Putz, Leiterin des Bereichs Arbeitsmarktforschung und Berufsinformation beim AMS. Die Nachfrage nach Absolventen dieser Studienrichtungen werde weiter anhalten. Sie rät dennoch dazu, eine Studienrichtung zu wählen, die zu den eigenen Interessen und Fähigkeiten passt. „Wo ich mit Herz und viel Engagement dabei bin, bin ich auch erfolgreich“, sagt Putz.