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Offener Brief an den Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich: Sozialwort 10+ missachtet die Opfer des inneren Festungsregims

Soumis par Aktiver Admin le dim, 25.10.2015 - 10:59
Angaben zum Brief
Brief abgesendet

Sehr geehrte Damen und Herren des Ökomenischen Rates der Kirchen in Österreich,

mit großen Hoffnungen haben wir das Projekt Sozialwort 10+ mitverfolgt. Ich hatte als Obmann der größten unabhängigen Erwerbslosenselbstorganisation Zeit genommen, um an der Abschlussveranstaltung „Nägel mit Köpfen machen“ teil zu nehmen.

Aus unserer Sicht ist dieser Aufguss des Sozialwortes leider ziemlich enttäuschend ausgefallen. Es wurden zwar Ideen für ein paar Projektvorschläge bei einem Open Space gesammelt, aber es fand keine systematische Analyse des Sozialwortes, dessen (Nicht)Umsetzung statt und inwieweit es weiter zu entwickeln wäre.

Die letztendlich siegreichen Projekte betrafen vornehmlich Themen die entweder zeitlich noch in (wie die Utopie des bedingungslosen Grundeinkommen) oder geografisch in der Ferne liegen und im hier und jetzt niemanden wirklich konkret verpflichten.

Uns fällt auf, dass sowohl im Sozialbericht als auch im Sozialwort ein ganz wesentliches Thema nicht mit einem einzigen Wort erwähnt worden ist:

Das grundlegende Unrecht der massiven strukturellen Gewalt gegen Arme, Erwerbsarbeitslose und Invalide durch das „administrative Massenverbrechen“1 des Sanktionenregimes das mitten unter uns, unseren Brüdern und Schwestern angetan wird ohne, dass sich irgendwer dafür verantwortlich fühlt.

Die permanente Androhung der Existenzvernichtung durch Bezugssperren bzw. -kürzungen, die willkürlich auf reinen Verdacht hin verhängt werden, führt dazu, dass arm gemachte Menschen bzw. Erwerbslose in beständiger Angst leben.

Laut der von uns organisierten Umfrage im Projekt „Würde statt Stress“ fürchten sich 36 % der Befragten vor dem Kontakt mit dem AMS und 29 % bekommen Beschwerden, wenn sie einen Kurs machen müssen, den sie nicht selbst auswählen durften.2

Uns fehlt jede Stellungnahme und Parteinahme der Kirchen Österreichs im Sinne der Unterdrückten, die unter dieser massiven Menschenrechtsverletzung leiden.

Wir Erwerbsarbeitslose gehören in Österreich zu den wenigen großen Bevölkerungsgruppen, die keine eigene Vertretung und damit auch keine Stimme in der Öffentlichkeit haben. PolitikerInnen und sogenannten ExpertInnen entscheiden nach wie vor in völlig paternalistischer Manier über unsere Köpfe hinweg und zumeist hinter verschlossenen Türen, was angeblich gut für uns sein soll.

Ein Teil der Kirchen ist an der Entrechtung unserer Brüdern und Schwestern aktiv beteiligt:

Sie betreiben „sozialökonomische Betriebe“, zu denen Arbeitslose unter Androhung des Existenzentzuges zugewiesen und zu Menschen zweiter Klasse degradiert werden:

 

  • Umgehung regulärer Kollektivverträge durch einen sehr niedrigen Pauschallohn (sittenwidrige „Transitarbeitskräfteregelung“) ohne Anrechnung von Vordienstzeiten, Qualifikationen usw.. Oftmals finden sich sogar ausgesprochen schikanöse Regelungen in Arbeitsverträgen und dazugehörigen „Regeln der Zusammenarbeit“ (z.B. Caritas Steiermark)
  • Aufgezwungener „sozialpädagogischer Betreuung“ die durch zugeschriebene „Vermittlungshindernisse“ gerechtfertigt wird, als seien wir selbst an der Arbeitslosigkeit schuld und nicht die fehlenden Arbeitsplätze und die wachsende Ungleichheit!
  • Übermittlung personenbezogener Daten an das AMS, dank schikanöser Arbeitsverträge bzw. diesen angeschlossenen Regelwerken.3

Die Missstände sind derart ausufernd, sodass wir bereits einen ersten Bericht erstellt haben (siehe beigefügtes PDF-Dokument).

Ein besonders negatives Beispiel stellt die Caritas Steiermark dar: Deren Leiter, Franz Küberl, der einen Monatslohn von über 4.000 Euro netto beziehen dürfte, hat sich sogar weigert, mit Anfragen von Menschen, die durch von der Caritas Steiermark ausgelöste AMS-Bezugssperren sowohl materiell als auch seelisch geschädigt worden sind, auseinander zu setzen.

Schlimmer noch: Diesen Sommer wärmte Franz Küberl in einem Kommentar in der „Kleinen Zeitung“ am 2.8.2015 den rechten Mythos auf, dass der Mensch Würde und Selbstwertgefühl erst durch die (Lohn)Arbeit bekomme und ohne ihr zu einen Fall für psychosoziale Einrichtungen und Drogenberatungsstellen werde. Damit deckt Franz Küberl jene repressiven Verhältnisse der herrschenden Gesellschaft, die nach dem Motto „wer nichts arbeitet soll nichts zu Essen haben“ die Erwerbsarbeitslosen aus der Gesellschaft ausstoßen und im wahrsten Sinne des Wortes kränken. Auch den Mythos, dass alleine durch Arbeitslosigkeit der Mensch seine Fähigkeiten und Fertigkeiten verliere weisen wir als reaktionären Mythos zurück.

Wir verwahren uns gegen den von Franz Küberl geforderten Ausbau des an einen Sklavenmarkt gemahnenden „zweiten Arbeitsmarkt“ auf den alle Erwerbsarbeitslosen mindestens alle zwei Jahre getrieben werden sollen. Die von Franz Küberl behaupteten „Aufstiegschancen“ erweisen sich zumeist als reines Märchen, denn wissenschaftlichen Studien zufolge erhöht sich durch angebliche „Transitarbeit“ am „zweiten Arbeitsmarkt“ die Zahl der Tage in ungeförderter, also echter Beschäftigung im Schnitt nur um 12 Tage pro Jahr! Die 2002 unter schwarz-blau laut geäußerte Ablehnung von „Zwangsarbeit“4 scheint sich nun in ihr Gegenteil verkehrt zu haben!

Die Caritas, und vermutlich andere kirchliche Einrichtungen auch, schrecken nicht davor zurück, Menschen, die eh schon wenig Geld haben, weiteren Schaden durch Auslieferung an das AMS-Sanktionenregime zuzufügen. Alleine uns sind bereits vier schikanöse, von der Caritas verursachte, Bezugssperren bekannt. Wer ersetzt hier den Schaden, der bei weitem nicht nur materieller Natur ist? 5

Das ist doch mit dem Leben und der Lehre von Jesus von Nazareth völlig unvereinbar, zu so einem grundlegenden Unrecht zu schweigen!

Das Sanktionenregime ist ein Kernelement der Herrschaft des Götzen Mammon (= Kapital & Staat)! Pro Jahr werden in Österreich über 100.000 Bezugssperren verhängt, sehr viele rechtswidrig. Die Zahl der auf reinen Verdacht verhängten „vorläufigen Bezugseinstellungen“ ist sogar wesentlich höher, es gibt aber keine Statistiken darüber!

Wir verstehen daher die Untätigkeit und das Schweigen der Kirchen in Österreich nicht!

Umfangreiche Informationen zum Thema Sanktionen finden Sie auf unserer Homepage!6

Zumindest in Deutschland und Großbritannien haben es Teile der Kirchen geschafft, sich unmissverständlich auf die Seite der Unterdrückten zu stellen und neben schönen Worten auch konkrete politische Kampagnen zu starten! (siehe Anhang)

Es würde uns freuen, wenn der Ökomenische Rat der Kirchen in Österreich sich unserem Kampf um die Rechte und die Würde aller Menschen anschließen würde.

Die massive Repression gegen Erwerbsarbeitslose richtet sich letztlich gegen alle Mitmenschen:

  • Je schlechter wir behandelt werden, umso größer ist der Druck, fremdbestimmte Lohnarbeit um immer schlechtere Bedingungen anzunehmen.
     
  • Das Sanktionenregime beraubt auch die in der „Arbeitsmarktpolitik“ arbeitenden Menschen ihrer Würde, weil sie zu MittäterInnen in einem auf Lüge und Gewalt aufbauenden System gemacht werden. Sie werden gezwungen, über ihre Brüder und Schwester zu herrschen und diesen Schaden zuzufügen.

In Ihrer Presseaussendung erwähnen Sie eine „Tool Box“, die sie erstellen wollen. Hier wäre ein erste Gelegenheit, in den vergangenen Jahrzehnten Versäumtes endlich nachzuholen. Wir bringen unsere Expertise gerne ein.

  • Wir haben mit dem „Erste Hilfe Handbuch für Arbeitslose“ eine Informationsquelle geschaffen (dritte Auflage in Arbeit), einen Rechtsinfoflyer als Erstinformation gedruckt und stellen zahlreiche Informationen online zur Verfügung.
     
  • Wir werden eine Arbeitslosenakademie aufbauen und Rechtshilfeworkshops sowie Vorträge zu erwerbsarbeitslosenpolitischen Themen anbieten.

Einen kleinen Überblick über unsere aktuellen Aktionen finden Sie unter:

http://www.aktive-arbeitslose.at/aktionen

Wir bitten Sie, unser Anliegen an die Mitglieder des Ökomenischen Rates weiter zu leiten und uns die E-Mail-Adressen für das Thema Erwerbsarbeitslosigkeit zuständigen MitarbeiterInnen und Einrichtungen mitzuteilen, damit wir diese auf unseren Presseverteiler setzen können, damit niemand mehr sagen könne, er oder sie habe nichts davon gewusst.

Mit basisgewerkschaftlichen Grüßen

Ing. Mag. Martin Mair
Obmann „Aktive Arbeitslose Österreich“

Anhang: Nachrichten über das Engagement kirchlicher Einrichtungen in Deutschland und Großbritannien gegen die Gewalt durch das Sanktionenregime

Fußnoten

1 Nach Hannah Arendt: Eichmann in Jerusalem

2http://www.aktive-arbeitslose.at/wuerdestattstress/wuerde_statt_stress_auswertung.html

3 Siehe zum Beispiel aktuelle Erfahrungeberichte zur Carla Steiermark: http://www.arbeitslosennetz.org/arbeitslosigkeit/ams-berichte/zwangsarbeit/caritas/werkstart_obersteiermark/index.html

4 Der Standard 21.1.2002: "Teuer erkaufte Frustration" http://derstandard.at/839196/Teuer-erkaufte-Frustration

5 Alleine drei Bezugssperren davon wurden binnen kurzer Zeit von der Caritas Steiermark (Carla Shops) verursacht. Siehe: http://www.arbeitslosennetz.org/arbeitslosigkeit/ams-berichte/zwangsarbeit/caritas/werkstart_obersteiermark/index.html

6 AMS-Sanktionen: Die Zahl der Bezugssperren ist 2013 auf ein neues Höchstniveau gestiegen!
http://www.aktive-arbeitslose.at/news/20140204_ams-bezugssperrren_sanktionenstatistiken_2013.html

Siehe auch:

Themenindex: AMS-Sanktionen / Bezugssperren
http://www.aktive-arbeitslose.at/themen/ams-sanktionen_bezugsperren.html

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