Sehr geehrte Frau Draxl,
liebe Frau Stockhammer,
sehr geehrter Herr Mitter!
Es wäre naiv anzunehmen, dass Menschen in leitenden Funktionen nicht wissen, was in ihren Einrichtungen läuft. Dennoch nehme ich einmal diese Position ein (vielleicht ist das die Altersmilde einer Pensionistin) und erzähle Ihnen, wieso ich bei AMS-Begleitungen den Eindruck habe, dass da ein Beratungssystem regelrecht „kippt“.
Es geht mir ausdrücklich nicht um Interventionen für meine Bekannten. Es geht auch nicht darum, Fehlverhalten von AMS-Berater_innen an Höherrangige zu melden. Generalisieren liegt mir ebenfalls fern, zumal ich mit einer AMS-Beraterin befreundet bin, bei deren Erzählungen ich immer noch das Bild von zugewandter engagierter Beratung habe. Auch meine eigenen Erfahrungen mit dem AMS waren ganz ok. Es gab allerhand merkwürdige Zuweisungen, aber nie(!) schikanöse Umgangsformen. Allerdings liegt das schon ein paar Jahre zurück.
Es geht mir schlicht darum, Sie zu fragen: Sehen auch Sie, wie die Kommunikation in diesem „Beratungs“setting abrutscht? Ich will nicht davon ausgehen, dass es dem AMS tatsächlich NUR mehr um die Kontrolle der Arbeitslosen geht, darum, die Zahlen zu schönen – auch um den Preis, dass die Arbeitslosen sich aus Hilflosigkeit, Erschöpfung oder Wut abmelden. Ich weiß, das AMS zählt Armutsbeschränkung und Sorge für die Erwerbsarbeitslosen nicht zu seinen Aufgaben, aber Einschüchterungsversuche und Demotivieren gehören halt auch nicht dazu.
Da ich selbst Jahre lang in einem ähnlichen Feld gearbeitet habe, kann ich durchaus einige Empathie für die Berater_innen aufbringen. Und ich kann mir NICHT vorstellen, dass man NICHT ausbrennt, wenn man so arbeitet, wie ich es zuletzt mehrmals gesehen habe. Den ganzen Tag die Menschen, die vor mir sitzen als Feinde zu behandeln und in der Folge den entsprechenden Widerstand abzubekommen, diese Mixtur aus Angst und Empörung, aus Entmachtung und Selbstverteidigung – ich hielte das nicht aus. Ich bräuchte ein Minimum an positivem Feedback meiner Klientel. „Erfolge“ ausschließlich in Zahlen (womöglich durch Sanktionen erreichte) würden mir nur genügen, wenn ich Buchhalterin wär.
Ehrlich, ich würde Ihnen gern ein Bild davon vermitteln, wie gestresst diese Leute aussehen, wie angespannt ihre ganze Haltung ist, wie sie dann mit Zitaten aus Gesetzen und Verordnungen um sich werfen (im besseren Fall) und wie sie (im leider genau so häufigen Fall) regelrecht knattern, wenn sie etwas zu erklären versuchen. Halten Sie mich nicht für zynisch, wenn ich mich jetzt unverblümt ausdrücke: Assoziieren sie bitte ein personifiziertes Hausmasta-Klischee als Berater_in und/oder einen senilen Grantscherm als Abteilungsleitung und versuchen sie, sich vorzustellen, dass das bis zur Pensionierung gut gehen soll! Das geht einfach nicht... Viel eher kommen uns Erschöpfung, Bluthochdruck und Depressionen in den Sinn, oder?
Ich erwarte von Ihnen natürlich nur bedingt eine einfühlsame Haltung gegenüber den Erwerbsarbeitslosen – bedingt insofern, als ich das AlVG einigermaßen kenne und Äußerungen diverser Minister ebenfalls. Dennoch möchte ich Ihnen an ein paar Beispielen veranschaulichen, wie die beschriebene Haltung wirkt.
Da gibt’s jetzt in den Ferien ein – im Sinne der Statistik zielführendes! - „leichtes“ Spiel bei AlleinerzieherInnen mit Schulkindern. Die Schulkinder sind 10 Monate betreut, aber jetzt nicht. Wenn die Mutter gerade jetzt in einen Kurs geschickt wird.... Bingo! Man kann auch hoffen, dass man eine/einen hoch qualifizierten Techniker_in zurecht(?)stutzt, wenn man – ganz kompetenzorientiert? – auf frühere Tätigkeiten als Student_in schaut. Bisher schon (weil NH-Bezieher_in) in Hilfsarbeiterjobs vermittelt, kann die Schraube noch gehörig weiter gedreht werden, indem man ihr/ihm ein Inserat vor-schreibt, in dem er/sie sich (z.B.) als Bote empfiehlt.
Das ist keine Notlösung zur Arbeitsmaktintegration bzw. zum Geldverdienen mehr, sondern das ist der Versuch, jemandem die berufliche Identität abzusprechen. Und es scheint kein Preis zu hoch: hier reduziert das AMS aktiv die Vermittlungschancen, denn die Arbeitsmarktchancen sinken bei dieser schwer dequalifizierenden Behandlung eher als dass sie steigen.
Einer/einem (international anerkannte_n) gesundheitlich beeinträchtigten Künstler_in, die / der aktuell kein Projekt hat und auf Mindestsicherung angewiesen ist, gleich als erste Vermittlung eine Putzer_innenstelle hin zu knallen, Arbeitsbeginn 6 Uhr früh bei mehr als einstündiger Anreise, das ist wohl kaum als ernst gemeinter Vermittlungsversuch zu werten (so viel Arbeitsmarktferne würde ich Berater_innen nicht unterstellen wollen), ist aber offenbar geeignet zu zeigen, was am AMS gespielt wird ...
Einer/einem Künstler_in vermittelt man „natürlich“ auf eine Vollzeitstelle, wenn er/sie angibt, sich auf konkrete Projekte vorzubereiten und an Anträgen zu arbeiten. Da stehen die Chancen gut, dass die/der „Kund_in“ – egal mit welchen Einschränkungen – sich lieber einer (kargen) Zukunft zuwendet als die Energien in einen aussichtslos erscheinenden Kampf um Existenzsicherung zu stecken. Weiteres Verarmungsrisiko inklusive. Was passiert, wenn Kund_innen widersprechen? Oder womöglich auf einen Widerspruch in den „Beratungs“aussagen hinweisen? Der ratternd-knatternde Tonfall wird zu einem Anherrschen gesteigert. Widerspruch erledigt.
Man muss aber nicht unfreundlich sein, um „Kund_innen“ das Erfüllen auferlegter Arbeitssuchpflichten zu verunmöglichen. Es soll Verordnungen geben, wonach arbeitsuchend Gemeldete per Liste wöchentlich zwei Bewerbungen nachweisen müssen. Da kann die/der Berater_in durchaus freundlich sagen, dass diese Vorschrift halt „leider“ gelte. Und Deutschkurs gibt’s halt „leider“ keinen. Vormerkung zwecklos. Flüchtlinge ohne Deutschkenntnisse scheitern daran mit großer Wahrscheinlichkeit. Wohin sie „verschwinden“, ist natürlich nicht Sache des AMS. Eine Frage der Arbeitsmärkte ist es sehr wohl.
Hat etwa jede Geschäftsstelle einen „Corporate Strategy-Mix“ zum Kleinmachen? Der Hinweis auf eine Vorstrafe, die im Akt steht, macht eine/einen Kund_in vielleicht kurz einmal sprachlos, weil die Vorstrafe längst getilgt ist. Bei entsprechend abwertendem Ton jedenfalls.
Die Sinnhaftigkeit jedweden Vermerks im Akt kann immer mit Vermittlungsrelevanz begründet werden.
Im Falle einer Vorstrafe ist das zugehörige Beispiel der Umgang mit Geld im – allenfalls! - zu vermittelnden Job. Unterstellungen – das AMS weiß ja nichts über die Art des Delikts - bauen erfolgreich Widerstand auf, insbesondere natürlich dann, wenn die Vorstrafe sich eben nicht auf ein Eigentumsdelikt bezieht.
Wie kommt es, dass Trainer_innen in einer BBE unterschiedliche Vorschriften (nicht VorSCHLÄGE) zum Verfassen eines Lebenslaufs machen, unterschiedliche BBEs natürlich erst recht?
Wie kann es sein, dass Kund_innen bei bestimmten Berater_innen/Trainer_innen alle Versicherungsdaten genau anführen müssen, auch wenn sie es z.B. als ungünstig erachten, im ersten Anschreiben gar so deutlich auf das Unstete in ihrem beruflichen Werdegang hin zur weisen?
… so viel nur als Anzeichen, dass sich die Abkehr von der KundInnenorientierung offenbar auch auf das Umfeld des AMS erstreckt.
Wie wird versucht, Widerstand zu brechen? Natürlich sind es in erster Linie die demütigenden Zuweisungen zu dequalifizierenden Jobs und zu wiederholten und sich wiederholenden Maßnahmen. Manchmal wird es auch mit entmündigendem Verhalten versucht. Etwa wenn einE Berater_in darauf besteht, FÜR die Erwerbsarbeitslosen Termine mit BBE zu vereinbaren. Erst recht, wenn die/der (akademisch gebildete) Kund_in patzig bemerkt, sie/er könne das selbst. Ich habe ein „Beratungsgespräch“ miterlebt, in dem das zwei Mal versucht wurde – und in beiden Fällen antwortete die angerufene Einrichtung, sie würden Termine gerne mit Klient_innen selbst ausmachen.
Wie geht es eine_r Berater_in, die sich im Übereifer innerhalb von 15 Minuten zwei Mal vor drei Personen eine solche Blöße gibt?
Was geht da vor? Ich kann mir den Sarkasmus nicht verkneifen – so viel Psychohygiene braucht auch eine Begleitperson, aber ich möchte Ihnen wirklich nahe bringen, was da mit Ihren Kolleg_innen geschieht! Ist das nicht unwürdig als professionelle Kommunikation, ist das nicht menschenverachtend als Haltung, ist das politisch nicht höchst bedenklich? Die Berater_innen, die ich in letzter Zeit beobachtet habe, haben so sehr mit Blamieren, mit Unterstellungen, mit Demütigungen gearbeitet, dass ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, die haben einen massiven Druck. Das macht man nicht von sich aus, wenn man sich für einen Beratungsjob entschieden hat.
Das muss ja wohl Top down laufen!?
Ich wundere mich nicht darüber, dass die Rechten immer mehr Terrain gewinnen, ich finde es aber bedrohlich, wie rasant es gerade am AMS geht und wie kontraproduktiv. Eine persönliche Antwort von Ihnen erwarte ich nicht. Ich hoffe aber, dass Sie irgendwas mit den Informationen und Überlegungen anfangen.
Freundlichen Gruß
Hedwig Presch
Dieser Brief ergeht auch an diverse AL-Inis und natürlich auch an die in den Beispielen Gemeinten – voll Respekt diesen Expert_innen gegenüber: Respekt für ihre Frustrationstoleranz, für ihr Einsteckenkönnen, vor allem aber für ihren „aufrechten Gang“ - trotz alledem.
Hedwig Presch ist Aktivistin im Verein "Institut für Alterkompetenzen" und hat dort das Arbeitslosenprojekt Würde statt Stress organisiert: http://www.alterskompetenzen.info/gesundheitsprojekt-wuest-wuerde-statt-stress
http://www.aktive-arbeitslose.at/wuerdestattstress