AKTIVE ARBEITSLOSE ÖSTERREICH unterstützen diesen offenen Brief und leiten daher folgende Presseaussendung gerne weiter mit Bitte um Berichterstattung / Weiterverbreitung
Steiermärkisches Sozialhilfegesetz: wenn Selbstbestimmung durch Stigmatisierung beseitigt wird
Koalition aus 25 Organisationen und 33 Privatpersonen fordert steirischen Gesetzgeber auf, das untragbare Sozialhilfegesetz dringend zu reparieren
[Wien, 22.11.2021] Die Grundrechts-NGO epicenter.works hat sich zusammen mit dem Arbeitskreis Existenzsicherung Steiermark intensiv mit dem im Juli 2021 in Kraft getretenen Steiermärkischen Sozialunterstützungsgesetz beschäftigt. Das Gesetz von ÖVP und SPÖ bringt nicht nur eine Stigmatisierung bedürftiger Personen mit sich, sondern weist auch noch besorgniserregende datenschutzrechtliche Mängel auf. Heute appelliert die Koalition aus 25 Organisationen und 33 Privatpersonen in einem offenen Brief an den steirischen Landeshauptmann, die Steiermärkische Landesregierung und an den Landtag Steiermark, das desaströse Gesetz zu reparieren.
Datenschutzproblematik durch Sachleistungen
Epicenter.works ortet in der neuen Gesetzgebung mangelhafte Garantien zur Wahrung des Datenschutzes bzw. Eingriffe in die Selbstbestimmtheit der eignen Daten. „Unterstützungsleistungen werden vorrangig als Sachleistungen erbracht, was problematisch ist, denn armutsbetroffene Menschen werden dadurch nicht nur stigmatisiert, sondern auch noch entmündigt“, warnt Thomas Lohninger, Executive Director von epicenter.works.
Beispielweise werden Wohnkostenanteile nicht mehr den hilfsempfangenden Personen selbst ausbezahlt, sondern ihren Vermieter*innen direkt. Das führt einerseits dazu, dass Betroffene dem Land Steiermark die Vermietenden bekannt geben müssen und andererseits erfährt der/die Vermieter*in, dass Mieter*innen Sozialhilfe beziehen. Die Konkurrenz um leistbares Wohnen ist ohnehin bereits sehr groß.
Dass Vermietende ihre Wohnungen lieber an sozial Bessergestellte vermieten, als an Personen, die am Existenzminimum leben, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Unterstützer*innen des offenen Briefes befürchten, dass Mietverhältnisse mit Betroffenen vermehrt überdacht und aufgelöst werden könnten und diese Menschen noch weiter in eine Armutsspirale gedrängt werden.
Mitwirkungspflicht bei Datenerhebung: Daten oder Strafe
Um die Hilfsbedürftigkeit und Arbeitsfähigkeit festzustellen, können Informationen von öffentlichen Stellen und Privaten eingeholt werden, die weder klar abgegrenzt noch ausreichend definiert sind. Auch schließen sie sensible Daten der Bereiche Gesundheit, Privat- und Familienleben mit ein. Im Fall von Auskünften durch Private können das Arbeitgebende, Vermietende oder die Hausverwaltung sein. Eine Möglichkeit, der antragstellenden Person dieser Datenerhebung zu widersprechen, bietet das Gesetz übrigens nicht. Ganz im Gegenteil: Eine Verweigerung der Auskunft stellt eine Verwaltungsübertretung dar und der Unterkunfts- oder Dienstgeber der hilfsbedürftigen Person muss mit einer Geldstrafe von bis zu 400€ rechnen. Ganz nebenbei erfahren die jeweiligen Einrichtungen natürlich auch von der Hilfsbedürftigkeit der Antragsteller*innen.
Ebenfalls unersichtlich ist, unter welchen Umständen das Einholen von Informationen durch die Behörde bei Dritten überhaupt zulässig ist. Die NGO epicenter.works warnt, dass das zu einer willkürlichen Datenerhebung von sehr sensiblen Informationen führen könnte. Warum dieses Kontrollinstrument überhaupt geschaffen wurde, erschließt sich ebenfalls nicht, denn zum Nachweis der Hilfsbedürftigkeit müssen antragstellende Personen ohnehin Unterlagen abgeben und Sanktionsmöglichkeiten bei Zuwiderhandeln oder bei einer Darstellung falscher Tatsachen bestehen sowieso schon.
Menschenwürde darf kein Luxus sein!
Aus Sicht von epicenter.works haben die neuen gesetzlichen Bestimmungen die ausdrücklich definierten Ziele der Sozialunterstützung - nämlich beizutragen zur Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhalts und zur Befriedigung des Wohnbedarfs der Bezugsberechtigten sowie die Förderung der dauerhaften (Wieder-)Eingliederung in das Erwerbsleben - weit verfehlt. „Menschen in prekären Lebenssituationen werden in der Steiermark nunmehr bloßgestellt und ausgegrenzt. Betroffene dürfen aber nicht in die Bredouille kommen, ihre Privatsphäre gegen finanzielles Überleben zu tauschen.“, warnt Petra Schmidt, Communications Manager von epicenter.works.
Die Würde des Menschen ist das Fundament aller Grund- und Menschenrechte. Es kann nicht sein, dass ein Gesetz, das eigentlich sozial Schwachen Hilfestellung leisten und ihr (finanzielles) Überleben sichern soll, dieses elementare Grundrecht akut zu untergraben droht. Dieses Gesetz führt einzig zu einer Stigmatisierung bedürftiger Personen und einer Isolation gegenüber ihrem Umfeld. Menschen dürfen nicht aufs Abstellgleis gestellt werden, schon gar nicht, wenn das Gesetz eigentlich genau das Gegenteil bewirken sollte.
Weitere Informationen
Zum offenen Brief: https://epicenter.works/document/3749
Zum Blogpost: https://epicenter.works/content/steiermaerkisches-sozialhilfegesetz-wenn-selbstbestimmung-durch-stigmatisierung-beseitigt
Zur juristischen Stellungnahme: https://epicenter.works/document/3528