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Interview mit der ÖH-Zeitschrift progress zum Tag der Arbeit 2015 (27.4.2015)

Submitted by Aktive Arbeits… on Mon, 27.04.2015 - 17:52

Wie erklären Sie sich, dass es so etwas wie Arbeitslosigkeit überhaupt gibt?
Wieso brauchen Menschen Arbeit, obwohl die Gesellschaft ihre Arbeit nicht braucht?

Weil in einem kapitalistischen Staat die Produktionsmittel und das Geld nicht demokratisch organisiert und verteilt sind. Während die "Wirtschaft" ihre Strukturen und Vermögen immer weiter aufbaut und immer mehr Lebensbereiche ihren Kapitalverwertungsprozessen unterwirft, erhalten die ArbeiterInnen aufgrund des steigenden Machtungleichgewichts immer weniger von ihrem Anteil und werden in ihren Handlungsmöglichkeiten immer mehr eingeschränkt. Sie müssen immer mehr Arbeit zu immer schlechteren Bedingungen auf sich nehmen, um ihren "Arbeitsplatz" überhaupt behalten zu dürfen.

Durch steigende Erwerbsarbeitslosigkeit können die ArbeiterInnen von den UnternehmerInnen immer mehr ausgebeutet werden. Der Staat wiederum ist auf die Steuereinnahmen der ArbeiterInnen angewiesen, weil das Kapital im Gegensatz zu den ArbeiterInnen im wahrsten Sinne des Wortes die Steuern umgeht. Obwohl Kapitaleinkommen die Lohnarbeitseinkommen schon zum Teil überholt haben, hängt die ganze Finanzierung des Sozialsystems und des Staates von der Kopfsteuer in Form von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben ab.

Die Europäische Union versucht daher mit dem "Aktivierungsregime" alle Menschen auf den "freien Arbeitsmarkt" zu drängen um die Sozialausgaben weiter zu senken. So steigen vor allem nicht Existenz sichernde prekäre Jobs. Angenehmer Nebeneffekt fürs Kapital ist, dass aufgrund steigenden Angebots der Preis der Arbeit sinkt. Für die Gesellschaft als ganzes ist das eine brandgefährliche Abwärtsspirale (siehe Griechenland und Spanien!).

Dank technischem Fortschritt und internationaler Arbeitsteilung wäre ja eine Arbeitszeitverkürzung schon längst machbar. Der sogenannte "freie Markt" ist daher das größte Hindernis.

„Was wäre der Tag der Arbeit ohne Arbeitgeber?“ fragt die WKÖ heuer wieder selbstgefällig. Was würden Sie dem entgegnen?

  1. Ein freier Tag ohne Sklaventreiber ist auch etwas Schönes.
  2. Was wären Unternehmen ohne ArbeiterInnen? Nur in Kleinstunternehmen muss der "Chef" noch die Arbeit selbst machen.
  3. Betriebe können und sollten in einer Demokratie so weit wie möglich demokratisch organisiert werden! Eigentlich bräuchten wir als erwachsene Menschen keine selbstgefälligen Chefs mehr, die uns nur von oben herab abfällig behandeln!

Befürworter*innen einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung meinen, sie würde eine bessere Verteilung der Arbeit zur Folge haben, u.a. auch zwischen den Geschlechtern. Wäre das eine praktikable Lösung oder zumindest ein Schritt in die richtige Richtung?

Auf jeden Fall. Es geht nicht nur um die Verteilung zwischen den Geschlechtern, sondern auch um die Verteilung der guten Arbeit. Das künstliche Hochhalten der Lohnarbeitsgesellschaft hat den Effekt, dass um "Arbeitsplätze zu schaffen" vor allem schlecht bezahlte Dienstleistungsjob niedriger Produktivität ohne jede Entwicklungsperspektive geschaffen werden. André Gorz hat das bereits in den 80er Jahren schon als Tendenz zur Dienstbotengesellschaft aufgezeigt und kritisiert.

Sie sagen selbst, dass beim aktuellen Stand der Produktivität 25 Stunden pro Woche ausreichen würden, um den Wohlstand aufrechtzuerhalten. Wieso kommt uns der technische Fortschritt nicht entsprechend zugute?

Weil im einem kapitalistischen System Eigentinteressen der UnternehmerInnen und KapitalgeberInnen wichtiger sind, als die Bedürfnisse der Menschen als MitarbeiterInnen und NutzerInnen. Viele Produkte werden beispielsweise absichtlich so gebaut, dass sie schnell kaputt gehen - Stichwort "geplante Obsoleszenz" bzw. das Ausreizen der Produktionskostensenkung - oder es werden künstliche Abhängigkeiten geschaffen. Das heißt, Produkte sind nicht mit anderen Produkten kompatibel, oder sind nicht mehrfach verwendbar, "veraltern" rasch und können nicht repariert werden.

Und erst recht wird durch das zwanghafte Konkurrenzregime viel unnötige Arbeit geschaffen. Es wird auch wieder vieles vernichtet, das mühsam aufgebaut wurde, nur weil es nicht genug Gewinn gebracht hat. Es wird nicht nur die Überproduktion vernichtet, nur um die Preise hoch zu halten. Neue Modelle steigern den Konsum künstlich, weil der Wachstumszwang schon alleine im kapitalistischen Geldsystem angelegt ist. Die Gewinnerwartungen der Kapitalbesitzer müssen ja mit aller Gewalt erfüllt werden.

Sogar die blanken Lebenskosten werden künstlich hoch gehalten - z.B. Mieten am "freien Markt" !! - um die Gewinne auf Kosten Anderer zu steigern und den Zwang zur Lohnarbeit zu erhöhen.

Künstliche Bedürfnisse werden durch Werbung und sozialen Druck geweckt. Es ist es nicht notwendig, dass jeder Mensch ein eigenes Auto besitzt, wenn eine allgemeine und intelligente Verbundlösung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Carsharing usw. allgemein üblich wird.

Durch Lohnarbeit und Konsum werden wir Menschen zugerichtet und isoliert. Der neueste Schrei ist ja Crowdworking, wo wir ja gar keine ArbeitskollegInnen mehr haben sondern uns am globalen Arbeitsmarkt via Internet völlig anonym rund um die Uhr niederkonkurrieren. Auch beim Internetshopping gibt es überhaupt keine menschlichen Berührungspunkte mehr. Wir machen so zum Beispiel bei den Banken immer mehr die Arbeit selbst.

Wichtig wäre, schrittweise ein bedingungslosen Grundeinkommens einzuführen und die Arbeitszeit zu verkürzen. Wie schon Viktor Adler Ende des 19. Jahrhunderts fest stellte, kann es revolutionär sein, wenn die Menschen endlich Zeit haben, um sich ohne Angst zu überlegen, was sie wirklich wollen.

Auf jeden Fall brauchen wir wieder eine echte politische Bewusstseinsarbeit, so wie sie im vorletzten und vorigen Jahrhundert die Arbeiterbildungsvereine gemacht haben, damit die Menschen verstehen, warum das jetzige System grundsätzlich nicht funktioniert und gegen die Wand fährt und wie eine Durchflutung aller Bereiche der Gesellschaft mit echter Demokratie uns neue und nachhaltige Lösungen ermöglicht.

So wie früher ArbeiterInnen Produktions- und Konsumgenossenschaften gegründet wurden, wäre es notwendig in solidarökonomischen Projekten Abhängigkeiten vom jetzigen System zu reduzieren und gemeinsames politisches und wirtschaftliches Handeln von Grund auf neu zu entwickeln. Dank Internet wäre nun eine vielseitige Information und Selbstorganisation möglich. Die Homepage des Kongresses solidarische Ökonomie wird beispielsweise nun endlich schrittweise ausgebaut und wird hoffentlich den Informationsfluss stärken.

Österreich hat leider die zutiefst paternalistische Tradition einer trivialkatholischen Monarchie nie wirklich überwunden. Demokratie war das Ergebnis zweier verlorener Weltkriege, wurde selbst nie hart erkämpft. Selbstverwaltungsprojekte wurden unter Sozialminister Alfred Dallinger zwar gefördert - ich halte noch das kostenlose Buch des Sozialministerums mit dem Titel "Selbstverwaltung kann man lernen" in meiner Bibliothek in Ehren - waren aber leider immer nur Nischenprojekte. Das "Team Kreisky" mit seinen vielfältigen Reformen war leider nur eine relativ kurze Episode.

Eine Bildung zu echter, kritischer Selbständigkeit ist überfällig, damit die Menschen die Bevormundung durch die wieder erstarkte Bürokratie und die erstarrten Parteiapparate überwinden. Demokratie kann nie auf Dauer an Parteien oder sonst wen delegiert werden.

Im Verein "Aktive Arbeitslose Österreich", der sich als Basisgewerkschaft 2.0 mit stark menschenrechtlicher Orientierung in Fortführung der Aufklärung versteht, versuchen wir eine längerfristige Strategie zu fahren. Über die Aufklärung der Erwerbsarbeitslosen über ihre Rechte - wir starten gerade eine Österreich weite Verteilaktion eines Flyers über Rechte der Arbeitslosen - versuchen wir schrittweise wieder einen Raum für den gegenseitige Erfahrungsaustausch und letzten Endes für politisches Bewusstsein aufzubauen. Vom "Erste Hilfe Handbuch für Arbeitslose" - das erstmals umfassend die Rechte der Arbeitslosen und die Fallstricke bei AMS & Co darstellt - ist bereits die dritte Auflage in Arbeit.

Wir haben daher nun auch eine Arbeitslosenakademie gegründet und versuchen für erste Projekte über die Österreichische Gesellschaft für politische Bildung Geld aufzustellen. Wir haben auch schon erste Themen wie das menschenrechtswidrige Sanktionenregime beim AMS und das neoliberale Aktivierungsregime der EU auf dem Kongress momentum einer politisch interessierten Wissenschaft präsentiert und werden unsere Homepage über den Sommer mit einem CMS kräftig ausbauen und so gestalten, dass Arbeitslose und Interessierte ihre Informationen beitragen und austauschen können und so selbst aktiv werden können.

Der Kampf um die Rechte der Erwerbsarbeitslosen ist im Kapitalismus ein zentraler Kampf. Er ist letzten Endes ein Kampf um die Rechte aller unter dem jetzigen System leidenden Menschen mit und ohne Erwerbsarbeit. Wir verstehen uns daher als eine Avantgarde einer international orientierten Gewerkschafts- und Sozialbewegung 2.0 die in all ihrer Vielfalt geeint - wie einst die Internationale propagiert hatte - das Menschenrecht erkämpft. Auch wenn es am Anfang sehr mühsam ist, so bleibt uns nichts anderes mehr übrig.

Wie bereits Ilija Trojanow in seinem Buch "Der überflüssige Mensch" - das für uns sozusagen die Arbeitslosenbibel ist - auf den Punkt bringt: Es geht ums Ganze. Außer uns selbst haben wir ja nicht mehr viel zu verlieren.

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