Sehr geehrte Frau Mitterstieler,
habe Ihren Kommentar in der News-Ausgabe vom 04.03.2017 „Wegen Reichtums geschlossen“ im Warteraum einer Arztpraxis gelesen, kaufe also kein „News“-Magazin. Die Geschäfte sollen am Sonntag öffnen, damit der Mensch regional konsumieren kann, weil er ja so viel beschäftigt ist und seine Einkäufe nicht unter der Woche erledigen kann. Gerne schreibe ich Ihnen meine Meinung dazu.
Ich bin der Ansicht, dass Geschäfte sonntags nicht offen halten sollen, weil die Menschen ein Recht auf Familie und Erholung haben. Und das gelingt immer noch am besten am Wochenende und nicht unter der Woche. Wer unter der Woche keine Zeit findet, seine Einkäufe zu tätigen, der kann entweder seine Zeit nicht richtig managen oder er ist bei einem Unternehmen tätig, wo viele Überstunden geleistet werden müssen. In Partnerschaften werden in den meisten Fällen beide Partner in unterschiedlichen Bereichen arbeiten, wo der eine sicher nicht das Wochenende bzw. den Sonntag ohne seiner Partnerin verbringen will, nur weil diese in einem Geschäft am Sonntag arbeiten muss.
Sie haben schon recht, wenn Sie schreiben, dass die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist. Deshalb vertrete ich auch die Ansicht, dass Überstunden verboten gehören, ja sogar eine Wochenarbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich und einem Mindestlohn von 1500 Euro netto (für die hohen Lebenshaltungskosten in Österreich) erforderlich ist, dass man alle Erwerbsarbeitslosen von 500.000 in Österreich, wieder in die Erwerbsarbeit integrieren kann. Nur weil die Arbeitslosigkeit hoch ist, bedeutet das nicht automatisch, dass jeder im Handel arbeiten will oder kann. Oder sollen Ihrer Ansicht nach auch erwerbsarbeitslose Akademikerinnen und Akademiker in den Handel gehen, wo man doch gleich als „überqualifiziert“ abqualifiziert wird?
Glauben Sie wirklich, wenn die Geschäfte sonntags offen hielten, dass die Menschen weniger im Internet ihre Einkäufe tätigen würden? Das Angebot im Internet ist oft viel umfangreicher und nicht zuletzt auch viel preisgünstiger, je nachdem, für welchen Bereich man sich interessiert. Andere wiederum haben gar keine andere Wahl als online einzukaufen, weil es in ihrer Gegend viele Geschäfte (aus verschiedensten Branchen) einfach nicht mehr gibt oder falls es noch welche Geschäfte gibt, diese bestimmte Artikel nicht lagernd haben, nicht führen oder gar nicht bestellen wollen?
Gibt es im Leben auch noch etwas anderes als die Arbeit und den Konsum? Wann haben wir genug? Wieviel ist genug? Darüber haben die britischen Wachstumskritiker Edward und Robert Skidelsky auch schon ein Buch geschrieben und in Wien einen Vortrag gehalten. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, jedes Wachstum ist begrenzt. Ebenso das Wirtschaftswachstum, weil es eine natürliche Marktsättigung gibt und der Planet physikalisch begrenzt ist.
Digitalisierung (Industrie 4.0), Robotisierung und Automation sind nicht aufzuhalten. Teil der Digitalisierung ist auch die Einführung der Scanner-Kassen, die es schon in einigen Supermärkten gibt. Zuerst zur Entlastung der Verkäuferinnen und Verkäufer, weil diese neben der Regalbetreuung, die bei Amazon und auch in einigen japanischen und amerikanischen Supermärkten beispielsweise schon längst von Robotern erledigt wird, sonst ihr Arbeitspensum nicht mehr erledigen könnten, und dann in weiterer Folge die Ersetzung der Verkäuferinnen und Verkäufer. Weil es der Kapitalismus so will. Der Mensch ist ein Kostenfaktor, Arbeit ist ein Kostenfaktor. Arbeit verursacht auch Kosten.
Übrigens, den Kapitalismus gibt es schon mehr als 300 Jahre. Warum sollte er im Zeitalter der Digitalisierung, des Internets der Dinge, der 3D-Druck-Technologie noch lange weiter bestehen? Der 3D-Druck beispielsweise wird in naher Zukunft die gesamte Wirtschaft auf den Kopf stellen. Mittels 3D-Druck kann jeder zum Produzenten und Verkäufer werden. Es gibt auch da schon Open-Source und Crowdworking-Plattformen sowie kostenlose Tauschbörsen (Thingiverse) und Sie wollen mit der Sonntagsöffnung 800 neue Jobs (wenn ich mich jetzt richtig an die Zahl in Ihrem Vorwort erinnere) schaffen??? Bei 500.000 Erwerbsarbeitslosen allein in Österreich? Und bei unzähligen prekarisierten Dienst- und Arbeitsverhältnissen, die die Technologisierung und Digitalisierung mit sich bringt.
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was wir Menschen täglich alles selbst machen, was früher jemand im Rahmen eines Vollzeit-Erwerbsarbeitsplatzes gemacht hatte und oftmals nur machen konnte mit entsprechender Ausbildung? Die sogenannte „unbezahlte Mitarbeit“ der Konsumenten erstreckt sich von der Selbstbedienung in Supermärkten, über die Pfandflaschen-Rückgabe, über das automatisierte Ausfüllen von webbasierten Online-Formularen bei Ämtern und Behörden (e-Government), bis hin zur Banküberweisung und Bankauszugsbeschaffung, die früher übrigens nur der Schalterbeamte tätigen konnte, aber dank Technologisierung heute allen Konsumenten möglich und zugänglich ist, bis hin zur Informationsbeschaffung im Internet, das Herunterladen von Software-Updates und deren Selbstinstallation, was einst auch nur ein IT-Techniker mit entsprechender Ausbildung erledigen konnte.
Sie sehen also, wo wir bereits stehen. Der Kapitalismus fährt gegen die Wand und da würde auch die Sonntagsöffnung nichts helfen. Und mit der Globalisierung ist das auch so eine Sache. Es gibt viele Länder auf der Welt mit unterschiedlichen rechtlichen, politischen und ökonomischen Systemen. Müssen wir noch im Wettbewerb zueinander stehen? Wettbewerb bedeutet immer ein Gegeneinander, nicht ein Miteinander. Und die Gegner im globalisierten Wettbewerb sind alles andere als ebenbürtig.
Nicht jedes Land (nicht einmal innerhalb der EU, auch hier haben wir wirtschaftlich ungleiche Mitglieder) kann mit beliebig anderen Ländern konkurrieren, weil die Ausgangsvoraussetzungen nicht gegeben sind. So wie im Sport nicht alle Sportler beliebig an Sportwettbewerben teilnehmen können (ein Gewichtheber der 100kg-Klasse wird kaum an einem Wettbewerb der 300kg-Klasse teilnehmen können), so können auch Länder nicht beliebig im globalen Wettbewerb bestehen.
Dass in den USA manche Geschäfte jeden Tag und 24 Stunden am Tag offen haben, hat spezielle regionale Gründe. Dass es in den USA riesige Einkaufszentren gibt, wo man in diesen Zentren alle Geschäfte vorfindet, hat einen triftigen Grund, nämlich den, dass die USA sehr groß sind und manche Menschen eben in entlegenen Gegenden wohnen und sehr weit in die nächstgelegene Kleinstadt fahren müssen, um einkaufen zu können, weshalb diese nur einmal im Monat mit ihrem Wohnmobil einkaufen fahren und erst nach einer halben Woche wieder zu Hause zurückkehren. In unseren Breiten gibt es solche Einkaufszentren auch, abgeschaut vom Ausland von unseren abgehobenen Politikern. Nur haben diese Einkaufszentren bei uns zur Folge gehabt, dass viele Geschäfte in den Innenstädten zusperren mussten. Und das war noch lange, bevor der Internet-Handel aufgekommen ist.
Aber anscheinend gibt es in unseren Breiten noch zu wenig Burnout-Fälle, weshalb man jetzt bei uns an Sonntagen Geschäfte öffnen will. Umsatz wird trotzdem nicht mehr gemacht, die Umsätze verteilen sich nur auf andere Einkaufszeiten. Denn viele sagen sich, manchmal auch aus Bequemlichkeit: „Ach, der Billa hat ja auch am Sonntag beim Bahnhof offen. Geh` ich eben am Sonntag mir was holen!“
Ich kaufe allerdings an Sonntagen nicht ein. Ich habe als erwerbsarbeitsloser Akademiker vielleicht leichter reden, kann mir die Zeit besser einteilen, als die Menschen im Arbeitsalltag-Hamsterrad. Und das sage ich Ihnen auch als jemand, der bei „Aktive Arbeitslose Österreich“, der größten Erwerbsarbeitslosenselbstorganisation, Mitglied und ehrenamtlich tätig ist.
Wir brauchen einfach eine Neuorientierung, einen Systemwechsel, das sagen auch viele Volkswirtschaftswissenschafter.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Mag. Stefan Risto