Schon im Winter könnte Österreich auf die Arbeitslosenzahlen wie vor Ausbruch der Corona-Pandemie zurückkommen, sagt der Vorstand des Arbeitsmarktservice Österreich, Johannes Kopf, im OÖN-Interview.
Sie sagten jüngst, in Kürze werden wir das Arbeitslosenniveau von Vor-Corona erreichen. Wann?
Kopf: Das hängt von der Delta-Variante ab. Wir hatten Anfang des Jahres 110.000 Arbeitslose mehr als vor Corona. Jetzt sind wir bei plus 14.000. Es könnte sich heuer im heurigen Winter schon ausgehen.
Davon, dass die Corona-Pandemie auf dem Arbeitsmarkt dann bewältigt ist, würden Sie aber nicht sprechen?
Richtig. Wir haben dann die harten Zahlen erreicht, das ist erfreulich. Corona hat aber Probleme auf dem Arbeitsmarkt geschaffen, gegen die wir noch jahrelang ankämpfen werden.
Vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit.
Ja, aber nicht nur: Obwohl die Jugendarbeitslosigkeit unter den Zahlen von 2019 ist, haben wir Studien, die besagen, die von Ausgrenzung bedrohten Jugendlichen haben das Distance Learning nicht gut geschafft. Der Anteil der Jugendlichen, die weder in der Schule sind noch einer Ausbildung oder einer Arbeit nachgehen, ist gestiegen. Manche Themen wurden auch verschoben. Dass man in der Schule kaum durchfallen kann, bedeutet, dass Jugendliche in den Schulen sind, die normalerweise schon auf dem Lehrstellenmarkt wären.
Wir haben ein Rekordniveau an offenen Stellen. Was bedeutet das für den Vermittlungsdruck, den das AMS aufbauen kann?
Das heißt, wir schauen darauf, dass die Leute sich vorstellen gehen. Fast die Hälfte der Arbeitslosen sind seit einem Jahr ohne Arbeit. Das heißt, hier braucht es auch Aktivierung. Die Sperren (des Arbeitslosengeldes, Anm.) steigen wieder. In Oberösterreich liegen wir mit 2585 Sperren wegen vereitelter Arbeitsaufnahme im ersten Halbjahr auf dem Niveau von 2019.
Was sagen Sie einem Firmenchef, der behauptet, die vom AMS geschickten Bewerber wollen gar nicht arbeiten?
Den Pauschalvorwurf lasse ich nicht gelten. Nur weil jemand einen konkreten Job nicht will, heißt das nicht, dass er nicht arbeiten will. Man muss differenzieren: Bei günstigerer Arbeitszeit, kürzerer Anfahrt, besseren Bedingungen und höherem Lohn würden die Leute schon wollen. Es gibt verschiedene Hebel, die Stellen dennoch besetzen zu können.
Die da wären?
Das kann die bloße Umformulierung des Inserates sein, das neue Bewerber anspricht. Wir helfen Unternehmen dabei. So haben wir aus "hohem technischem Interesse" "Freude an Technik" gemacht. Siehe da, das hat den Anteil der Frauen unter den Bewerbern gesteigert. Betrieben mit Schichtmodellen zeigen wir auf, wie man das mit Teilzeit lösen könnte. Man kann als Betrieb einiges tun, um ein größeres Arbeitskräftepotenzial anzusprechen. Aber ganz offen: In Rohrbach haben wir eine Arbeitslosenquote von unter zwei Prozent, da kann man nicht mehr wählerisch sein. Wir sagen den Betrieben, ihr müsst das Gold genauer waschen. Und wir überlegen mit den Firmen, ob es nicht andere Lösungen gibt: Können nicht Hilfskräfte im Unternehmen zu Fachkräften geschult werden? Wir finanzieren die Ausbildungen mit. Manche Stellenbeschreibungen gibt es nicht auf dem Arbeitsmarkt, da helfen wir mit unseren Ausbildungsprogrammen.
Sie sind als Vorsitzender im Klub der internationalen Arbeitsmarktverwaltungen im Austausch. Was tun andere gegen Langzeitarbeitslosigkeit?
Die Lösung hat niemand. Die Lösung heißt, sie nicht entstehen zu lassen. Also radikale "Early Intervention", also rasch vermitteln oder schulen. Wenn ich lange arbeitslos bin, beginne ich – damit ich nicht depressiv werde – mich mit der Situation zu arrangieren. Ich denke über die Vorteile von Arbeitslosigkeit nach. Denn die gibt es: etwa ins Schwimmbad zu gehen, wenn es schön ist – nicht, weil Wochenende ist. Leute legen sich einen Selbstschutz zurecht: Ich bin ja nicht blöd und gehe nicht für 300 Euro mehr arbeiten.
Da sind wir beim Punkt: Die 300 Euro mehr ergeben sich womöglich daraus, dass jemand geringfügig bis zu 475 Euro im Monat dazuverdient, andere Sozialleistungen erhält und mit ein bisserl Pfusch ein – wenn auch bescheidenes – Auskommen findet. Sind Sie für die Abschaffung des Dazuverdienens?
Ja. Ich habe viel darüber nachgedacht, weil es ja auch Argumente dafür gibt. Die Leute haben zumindest einen Fuß in der Arbeitswelt und verlernen nicht die Arbeitstugenden. Ist dieser Fuß in der Tür nützlicher, als es schädlich ist, weil der Unterschied zum Erwerbseinkommen zu gering wird? Inzwischen bin ich so weit: Es gehört – wenn nicht verboten – so doch massiv eingeschränkt. Wir haben dabei gute Erfolge mit dem Erhebungsdienst.
Was ergibt dieser?
Wir gehen auf Firmen zu und sagen: Sie haben den Herrn Mayr schon lange geringfügig angestellt, stellen Sie ihn bitte ganz ein. Manche haben ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn ohnehin mehr beschäftigt haben. Andere sagen, der Herr Mayr will nicht – worauf wir auf den Herrn Mayr zugehen und am Ende Sperren aussprechen. Auch der Personalmangel könnte teilweise durch das Aufstocken von geringfügig Beschäftigten entschärft werden. Das Potenzial wird nicht immer gesehen.
Arbeitsminister Martin Kocher will im Herbst Arbeitsmarktreformen angehen. Sie beide gelten als Freunde eines degressiven Models.
Ich bin im guten Austausch mit ihm, kenne aber seine Pläne nicht. Ich habe mich dafür ausgesprochen, dass es nach drei Monaten eine Stufe geben sollte. Das heißt, ich muss mit einem höheren Arbeitslosengeld starten. Es ist politisch zu verhandeln, wie finanziert man das, denn am Anfang wird es teurer. Warum eine Stufe: weil es internationale Evidenzen gibt, wonach diese dazu führen, dass die Arbeitsuchenden sich bis zu der Frist Zeit geben, einen möglichst optimalen Job zu finden. Dann steigt die Kompromissbereitschaft, eine weniger optimale Stelle anzunehmen. Denn es kommt der Zeitpunkt, an dem die Wahrscheinlichkeit massiv sinkt, den guten Job zu bekommen, weil der Arbeitssuchende zu lange weg ist.