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Zweiter und Dritter Gewerkschaftskongress zu Fragen der Arbeitsvermittlung

Soumis par Aktiver Admin le lun, 18.07.2016 - 21:24

Zweiter Gewerkschaftkongress, Weihnachten 1896

Die Arbeitsvermittlung als kommunale Einrichtung unter ausschliesslicher Leitung der Gewerkschaften

Referent: Ludwig Exner

"Auf Grund einer Umstellung der Tagesordnung referierte anschließend Exner über "Die Arbeitsvermittlung als kommunale Einrichtung". Er stellte fest, daß die Fluktuation der Arbeiter es notwendig mache, Arbeitsvermittlungen zu errichten. Die Arbeitsvermittlung sei in die meisten Vereinsstatuten aufgenommen, sie werde aber nicht gepflegt. Im Jahre 1895 hätten sich 16.576 Personen bei den Arbeitsvermittlungen gemeldet. In Deutschland sei berechnet worden, daß fünf Millionen Menschen jährlich die Arbeit wechseln, wobei im Durchschnitt jeder Arbeiter zwei bis drei Wochen arbeitslos sei. Die Genossenschaften sollten Arbeitsvermittlungen durchführen, führte Exner weiter aus. Die 5317 in Österreich im Jahre 1894 existierenden Genossenschaften zerfielen in 552 Fachgenossenschaften, in 440 Genossenschaften der verwandten Gewerbe und in Kollektivgenossenschaften. Es seien nur sehr wenige Genossenschaften, die Vermittlungen durchführten, und diese hauptsächlich in Wien. Bei der Hälfte der Genossenschaften hätte sich kein Gehilfenausschuß konstituieren können, weil er nicht einberufen wurde. Bei den von den Unternehmern unterhaltenen Arbeitsvermittlungen werde diese Einrichtung für ihre Zwecke ausgenützt.

Der Referent beantragte eine Resolution, in der die Errichtung von kommunalen Arbeitsnachweisen abgelehnt wurde, da solche Einrichtungen ohne die ausschließliche Verwaltung und Führung durch die Gewerkschaften nur den Interessen des Kapitals dienen würden. Wenn bei Staat und Gemeinde ernstliches Interesse vorhanden sein sollte, so sollten diese den Gewerkschaften Geld zum Ausbau und zur Verwaltung der Arbeitsvermittlungen zur Verfügung stellen. Gleichzeitig wird mit der Resolution gegen gemeinsame, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu leitende Arbeitsnachweise Stellung genommen. Die Gewerkschaften hätten die Pflicht, an den Ausbau der eigenen Arbeitsvermittlungen zu schreiten und alle anderen Experimente zu bekämpfen. Die Resolution wurde ohne Debatte einstimmig angenommen. Zwei Jahre später wurde allerdings in Wien eine kommunale Arbeitsvermittlung eingerichtet." (Klenner, Seite 210)

Dritter Gewerkschaftskongress (11. - 15.7. 1900)

"Die Krisenerscheinungen hatten zur Folge, daß sich die Gewerkschaften mit dem Problem der Arbeitslosigkeit beschäftigten. Da man erkannte, daß die Arbeitslosigkeit durch das Wirtschaftssystem bedingt war, suchte man Mittel, um die Folgen der Arbeitslosigkeit für den Arbeiter abzuschwächen. Der Kongreß der deutschen Gewerkschaften behandelte eine Versicherung gegen Arbeitslosigkeit als eigenen Punkt der Tagesordnung. Im Kreise der österreichischen Gewerkschaften waren die Meinungen geteilt. Man wendete gegen eine staatliche Arbeitslosenversicherung ein, daß der Staat Interesse daran haben müsse, die Zahl der Arbeitslosen niedrig zu halten, und daher auch eine von ihm organisierte Arbeitsvermittlung einrichten müsse. Um diese wirksam zu gestalten, müsse die Bestimmung bestehen, daß ein angewiesener Arbeitsplatz nicht ausgeschlagen werden darf. Dadurch aber zwinge man Arbeitslose zur Annahme von Arbeitsstellen mit schlechten Arbeitsbedingungen und züchte Lohndrücker und Streikbrecher. Wenn sich aber die Arbeitslosenunterstützung auf die Gewerkschaften beschränke, so bleibe sie eine Waffe im Lohnkampf. Mittelchen der staatlichen Sozialpolitik reichten nicht aus, um die Schäden der bestehenden Gesellschaftsordnung wirklich zu heilen. (Klenner, Seite 264)

Bezüglich der Arbeitsvermittlung gab der Kongreß der Überzeugung Ausdruck, daß die Vermittlung der Arbeitskraft nur Sache der Arbeiterorganisationen sein könne. Wenn von Staat, Land oder Gemeinde Arbeitsvermittlungsanstalten errichtet würden, könnte die Arbeiterschaft nur dann diesen Institutionen mit einigem Vertrauen gegenüberstehen, wenn folgende Grundsätze anerkannt würden:

  1. Verwaltung der Arbeitsvermittlung durch eine in gleicher Zahl von Arbeitern und Unternehmern zusammengesetzte Kommission unter Leitung eines unparteiischen Vorsitzenden.
  2. Wahl der Kommissionsmitglieder durch ihre Klassengenossen unter Berücksichtigung des Groß- und Kleinbetriebes.
  3. Führung der Vermittlungsgeschäfte durch aus den Reihen der Arbeiter entnommene Personen; Wahl dieser Personen durch die Kommission.
  4. Beschlußrecht der Kommission, bei bestimmten Fällen, insbesondere bei Arbeitseinstellungen und Aussperrungen, die Vermittlung für diese Betriebe einzustellen.
  5. Verpflichtung der Arbeitgeber, die dem Arbeitsnachweis angegebenen Arbeits- und Lohnbedingungen nach erfolgter Einstellung auch zu erfüllen.
  6. Genaue Zusammenstellung der Löhne und sonstigen Arbeitsbedingungen durch die Vermittlung und Führung einer genauen Statistik über dieselben sowie über die Ergebnisse der Arbeitsvermittlung überhaupt, endlich Veröffentlichung der letzten Daten in möglichst kurzen Fristen in der Arbeiterpresse.
  7. Gebühren-, Stempel- und Portofreiheit für sämtliche Arbeitsvermittlungen, welche sich diesen Grundsätzen unterwerfen.
  8. Tragung sämtlicher sonstiger Kosten durch Staat, Land oder Gemeinde.

(Klenner, Seite 241/242)

Texte aus: Fritz Klenner: "Die österreichischen Gewerkschaften" 1. Band

Konklusio:

Vor 100 Jahren waren die österreichischen Gewerkschaften deutlich konsequenter auf Seiten der ArbeiterInnen. Zahlreiche Gewerkschaften betrieben Arbeitsvermittlung, die Hälfte der Mitgliedsbeiträge flossen an die Mitglieder zurück in Form von Unterstützungsbeiträgen im Falle der Krankheit oder der Arbeitslosigkeit. Arbeit suchende ArbeitnehmerInnen waren im Gegensatz zu heute ein zentraler Bestandteil der Gewerkschaftsarbeit. Wie das zweite Zitat übe 1900 zeigt, haben sich die Gewerkschaften aber rasch mit den realen Machtverhältnissen abgefunden. Es gibt heute zwar noch einen kleinen Unterstützungsbeitrag für erwerbsarbeitslos gemeldete Gewerkschaftsmitglieder, der immerhin drei Monate lang ausbezahlt wird, aber viele Mitglieder wissen davon nicht.

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